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Lars von Triers Antichrist / FD 19/09

 
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helmi



Anmeldungsdatum: 10.03.2005
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Wohnort: Hall of the incredible macro Knight

BeitragVerfasst am: 08 Sep 2009 12:02    Titel: Lars von Triers Antichrist / FD 19/09 Antworten mit Zitat

Lars von Triers Antichrist kritiken / kino

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Bei Lars von Triers weiß man nie so genau, woran man ist. Seine Filme sind raffinierte Vexierspiele, die mit vertrauten Erzählmustern locken, um dann plötzlich Haken zu schlagen und alle Erwartungen über den Haufen zu werfen. Es gibt wohl keinen anderen Regisseur der Gegenwart, der sich mit ähnlichem Verve von Film zu Film neu erfindet oder zumindest nicht davor zurückschreckt, seine Reputation aufs Spiel zu setzen. Das hat natürlich Methode und wurzelt in Triers Charakter, dessen ironischer Sarkasmus sprichwörtlich ist. Doch weder das Wissen um die Disposition des Filmemachers noch die Kenntnis seiner zahlreichen Manifeste und „Geständnisse“ helfen weiter, wenn es um den jeweils neuen „von Trier“ geht. Für „Antichrist“ gilt das in zugespitzter Weise; nach der Premiere in Cannes rangen viele nach Luft, um sich von den apokalyptischen Bildern dieses düsteren Horrortrips zu befreien. Die Schockstarre währte indes nur kurz, um einer umso heftigeren Diskussion Platz zu machen, in der dem Film bisweilen auch offener Hass entgegen schlug.


In drei Kapiteln, gerahmt von Prolog und Epilog, entfaltet sich die Geschichte eines namenlosen Ehepaars, das eingangs seinen kleinen Sohn verliert und schwer an diesem Verlust zu tragen hat. Um die Agonie seiner Frau zu kurieren, nimmt ihr Mann, ein Therapeut, die Behandlung in die eigenen Hände. Dabei wird deutlich, dass über den Verlust des Kindes hinaus schwer benennbare Ängste die Frau erdrücken. In einem „Eden“ genannten Holzhaus in einem abgelegenen Wald verläuft die Trauerarbeit jedoch nicht nach Plan. Statt Versöhnung greift Verzweiflung um sich. Die Natur selbst entpuppt sich als Quelle abgründiger Destruktion, deren morbides Gewaltpotenzial auf die Protagonisten übergreift. Wollte man es begrifflich auf Schlagwörter bringen, dann handelt „Antichrist“ von Sex und Schuld, Misogynie und Rationalität, Herrschaft und Hexerei, Paradies und Hölle. Man könnte den Film aber mit gleichem Recht als destruktiven Sturz in die geistige Umnachtung beschreiben. Oder sich auf die vom Regisseur unterbreitete Interpretationshilfe stützen, derzufolge der Film von Trier als eine Art Selbsttherapie aus tiefer Depression befreit habe. Was auch immer man im Zentrum zu erkennen glaubt, hängt entschieden davon ab, wie sehr man sich auf die barocke Fülle an Verweise und Anspielungen einlässt – inklusive der Option, auf Distanz zu gehen, weil man Trier für einen Trickster hält, dessen fintenreiches Kopf-Kino das Publikum schon einmal zu oft hinters Licht geführt hat. Eine „psychologische“ Deutung drängt sich durch die Handlung allerdings wie von selbst auf, da die beiden ersten, mit „Schmerz“ und „Trauer“ überschriebenen Kapitel die Versuche des Mannes beleuchten, seiner Frau zu helfen.


Sein Credo, den Abgründen der Panik nicht auszuweichen, sondern sich ihnen zu stellen, ist von Anfang an in ein Zwielicht getaucht, weil der Mann die grundlegende Differenz zwischen Partner und Therapeut ignoriert. Auch tobt zwischen den Eheleuten ein untergründiger Machtkampf, der zunehmend symbolisch-allegorische Züge annimmt, Gender-Aspekte durchscheinen lässt und in ein Rollenspiel mündet, in dem sich die Protagonisten als Natur und Vernunft belauern. Hier klingen auf engstem Raum zentrale Diskurse der letzten Jahrhunderthälfte an: vor allem über das Verhältnis der Geschlechter, über den patriarchalen Herrschaftsanspruch versus die Reduktion des Weiblichen auf Natur in Gestalt orgiastischen Verströmens, wobei die Perspektive des Films dezidiert männlich ist, in der Triebverzicht, Kontrolle und Selbstbeherrschung dominieren. Die Anstrengungen scheinen zunächst zu fruchten, denn die Frau überwindet ihre Phobien. Doch inzwischen widerfahren dem Mann seltsame Erscheinungen: ein Reh, dem eine Totgeburt aus dem Leib hängt, läuft vor ihm weg, Blutegel saugen sich in seine Hand, ein Fuchs raunt: „Das Chaos regiert“.

Das ist das Codewort, um den therapeutisch-aufklärerischen Diskurs wie eine lästige Verkleidung abzuwerfen und inszenatorisch ganz ins Gefilde des Horrorgenres abzudriften. Doch bei aller Drastik, mit der sich die Ankündigung des Fuchses als Generalschlüssel des Films entpuppt, scheint von Trier durch Überdehnungen der Handlungslogik zugleich den fiktionalen Charakter der Spirale aus Gewalt und Sex signalisieren zu wollen. Willem Dafoe schleppt sich nun mit einem Schleifstein am Bein durch den nebeligen Wald und sucht im Fuchsbau Schutz, während die blutverschmierte Charlotte Gainsbourg auf der Suche nach ihm wie eine blutrünstige Rachegöttin das Gelände durchkämmt und unaufhörlich „Wo bist Du?“ schreit. Das vor bizarren Einfällen, Blut und Sperma strotzende Kapitel gerät dabei nicht nur visuell, sondern auch thematisch an Grenzen, weil es das weibliche Begehren als kompromissloses Lustverlangen zur Quelle allen Unheils stempelt, auf das die hemmbareren männlichen Energien historisch wie aktuell mit der radikalen Beseitigung des Übels antworten. Reaktionärer hat das seit langem keiner mehr ausfabuliert. Doch der Scheiterhaufen ist nicht das letzte Bild, weshalb die misogynen Vorwürfe gegen den Film und ihren Regisseur am Kern vorbei zielen. Der schwer ausdeutbare Epilog enthüllt zumindest, dass der Preis für die Auslöschung die eigene Entwirklichung mit einschließt, auch wenn Dafoe erst jetzt ganz bei sich angekommen scheint. Von seiner Figur ausgehend, ließe sich das Ganze nämlich auch als eine Fundamentalkritik der männlichen Welterklärung lesen, die im Mantel von Rationalität und Aufklärung auf Leichenbergen thront und außer dem nackten Selbsterhalt keine anderen Regungen aufkommen lässt.


„In memoriam Andrej Tarkowskji“, heißt es im Nachspann; die Widmung eines dystopischen Abgesangs an den Meister des Mystischen empfanden in Cannes viele als Sakrileg. Aber geht es von Trier mit seinen provokativen Kaskaden nicht genau darum, aus der Reserve zu locken, zementierte Überzeugungen und emotionale Panzerungen zu sprengen? Ein Garten Eden, der einem Totenreich gleicht, die zartbittere Klage-Arie „Lascia ch’io pianga“ aus Händels „Rinaldo“ als verführerischer Zuckerguss über dem in extremer Zeitlupe gefilmten Sturz des Kindes, der endzeitliche Filmtitel in Kombination mit dem Frauenzeichen, eine in Schwarz-Weiß gefilmte Natur als „Kirche Satans“, in der nicht unaufhörliche Kreation, sondern Verwesung den Ton angibt: lauter gegenläufige Kodierungen, die zum Widerspruch reizen, wenn man sich erst einmal aus der gewaltsamen Umarmung der Bilder befreit hat. Wie man es auch dreht und wendet: „Lars von Triers Antichrist“ ist der interessante Film des Jahres, weil er härtere Nüsse zu knacken gibt als alle anderen Filme zusammen.

gruss

helmut
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Der Mensch lässt sich grob in zwei Gruppen einteilen: in Katzenliebhaber und in vom Leben benachteiligte.

Francesco Terarca
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cinéphile
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BeitragVerfasst am: 09 Sep 2009 11:21    Titel: Antworten mit Zitat

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Zuletzt bearbeitet von cinéphile am 05 Apr 2012 13:41, insgesamt einmal bearbeitet
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helmi



Anmeldungsdatum: 10.03.2005
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BeitragVerfasst am: 09 Sep 2009 11:41    Titel: Antworten mit Zitat

zumindest soll der film auch einer der härtesten in Cannes gewesen sein.

gruss

helmut
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Francesco Terarca
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helmi



Anmeldungsdatum: 10.03.2005
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BeitragVerfasst am: 09 Sep 2009 11:48    Titel: Antworten mit Zitat

FD 13/09 meint zu den "skandalfilmen von Cannes:

„Bleed her“ artikel / festival

Über Die „Skandalfilme“ von Cannes



Jedes Filmfestival lebt von der Zuspitzung, der kalkulierten Provokation, die das Maß des Zuträglichen überschreitet und in Erfahrungsräume führt, die mancher nie betreten wollte. Das gilt nicht nur für die üblichen Reizthemen Sex und Gewalt, sondern in fast noch höherem Maße für filmästhetische Experimente. Besonders brisant wird es, wenn alles zusammenkommt und nicht nur der Plot, sondern auch die Erzählweise in unbekanntes Terrain vorstoßen. Die Desorientierung, die sich dann mitunter auch bei Filmkritikern breitmacht, lässt sich in den wild auseinander strebenden Texten nachlesen, wie sie in Festivalberichten und neuerdings in den Web-Blogs ihren Niederschlag finden. Man sollte dies nicht als Manko oder mangelnde Distanz, sondern als naheliegende Reaktion auf Filme verstehen, die viel Mühe aufwenden, um sich dem allzu schnellen, allzu sicheren Zugriff zu entziehen. Meistens lohnen ein zweiter Blick und die Geduld (oder der Masochismus) einer intensiveren Betrachtung, auch auf die Gefahr hin, erste Urteile revidieren zu müssen.


Das gilt beim 62. Festival de Cannes insbesondere für zwei Wettbewerbsfilme, die nicht nur wegen ihrer exzessiven Grausamkeit abgelehnt wurden, sondern vor allem wegen angeblicher Frauenverachtung am Pranger standen. Bei „Kinatay“ von Brillante Mendoza kulminiert die Handlung – eine Prostituierte wird von einer Handvoll Männer verschleppt und ermordet – in dem Befehl: „Bleed her“, was soviel bedeutet wie „Stoß ihr die Machete in die Scheide“, woraufhin die Todesschreie der Frau jäh verstummen und man nur noch die Geräusche der Klingen hört, mit denen ihr Körper in Stücke gehackt wird. Doch „Kinatay“ ist kein „Snuff“- oder Genre-Film, sondern eine Initiationsgeschichte mit hoher Unmittelbarkeit: ihr Protagonist, der junge Polizei-Kadett Peping, weiß so wenig wie der Zuschauer, was auf ihn zukommt, als er in den Kleinbus steigt, auch wenn die dräuende, immer düsterere Atmosphäre Schlimmes erahnen lässt. Als sich die Dinge langsam zuspitzen, will er davonlaufen, dem Unerträglichen ausweichen – und mit ihm der Betrachter, der viel dafür gäbe, wenn der semidokumentarische Erzählstil jetzt um einen Hollywood-Schlenker – Peping verfügt über eine Pistole – ergänzt würde. Doch „Kinatay“ verweigert jede Entlastung; der Mord ist ein wirklicher Tabubruch, eine bestialische Ungeheuerlichkeit, die dem Titel „Schlachten“ erst seine widerwärtige Färbung gibt. Natürlich ist das, was der Film zeigt, im höchsten Maße frauen- und menschenverachtend; doch es besteht weder Zweifel an der erzählerischen Haltung zum Gegenstand, noch daran, welche Position der Film zu den gesellschaftlichen Widersprüchen in Manila einnimmt. Im Falle von „Antichrist“ und Lars von Trier hingegen lässt sich ähnliches nicht so einfach behauptet. Das hat mit der Komplexität des Films zu tun, der als Tragödie beginnt und durch seine Kapitelüberschriften „Trauer“, „Schmerz“ und „Verzweiflung“ keine Wendung zum Besseren erwarten lässt. Dann aber scheinen die therapeutischen Anstrengungen des Ehepaars, den Tod ihres Kindes zu überwinden, doch Früchte zu tragen. Bis der Fuchs „Chaos reigns“ raunt, und der bis dato entwickelten Handlung im Stakkato der Schock-Attacken der Boden unter den Füßen entzogen wird. Wie man das Gespinst aus Zeichen, Bildern und Dialogzeilen am Ende rekonstruiert und deutet, hängt entschieden von der Verknüpfung seiner Elemente ab. Eine psychologische Interpretation widerstreitet deshalb wie so oft bei von Trier mythologischen Deutungen, die Genre-Fraktion fühlt sich im Recht, und auch eine feministische Lesweise ist kaum von der Hand zu weisen. Entsprechend vielfältig fallen die Antworten darauf aus, was der Titel bedeutet und auf wen er sich gegebenenfalls bezieht. Dass „Antichrist“ so vielen harten Interpretationen standhält, hat eindeutig mit seiner gewaltsamen Art zu tun, in der Trier einmal mehr auf der Grenze zu Pornografie und Sadomasochismus balanciert. Statt über die weibliche Opferrolle in seinen Filme zu klagen oder Triers vermeintliche Misogynie zu attackieren, wäre man deshalb wohl besser beraten, seine Energie auf die Rätsel von „Antichrist“ zu verschwenden.

gruss

helmut
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Der Mensch lässt sich grob in zwei Gruppen einteilen: in Katzenliebhaber und in vom Leben benachteiligte.

Francesco Terarca
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Tom
Gast





BeitragVerfasst am: 09 Sep 2009 20:30    Titel: Antworten mit Zitat

Ingo hat folgendes geschrieben:
Na, auf den bin ich ja riesig gespannt. Aber vom Lars kann ja eigentlich nichts Schlechtes kommen!
Der schweizer Filmredaktor Michael Sennhauser hat den Film gerade als spannendsten, verstörendsten und besten Filmbeitrag dieses Jahres bezeichnet. Ebenso als das radikalste Werk der letzten Jahre.
Offenbar hat von Trier an einer Presskonferenz gesagt, er hätte den Film genauso machen müssen, weil es die Hand Gottes sei, die ihn gelenkt habe, er der beste Regisseur der Welt sei, er aber nichts sicher sei, ob Gott wirklich der beste Gott sei. Laughing
Le Monde à l'envers! Wink

Gruss
Ingo


Is ja reichlich verlogen Herr Gärtner....bei Von Trier findest dus charmant....bei Tarantino nennst dus arrogant. Ts ts ts....

Hab Antichrist gesehen....wieder n meisterwerk....aber der mann kann ja nix schlechtes....zu der erkenntnis bin ich inzwischen gekommen.
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cinéphile
Gast





BeitragVerfasst am: 10 Sep 2009 06:07    Titel: Antworten mit Zitat

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