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Artikel: "Filmmontage zwischen Stil und Genre"

 
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HAL



Anmeldungsdatum: 28.03.2005
Beiträge: 194

BeitragVerfasst am: 15 Apr 2005 11:15    Titel: Artikel: "Filmmontage zwischen Stil und Genre" Antworten mit Zitat

In der aktuellen Ausgabe des "Schnitt"-Magazins wurde der erste Teil eines Artikels über die "Filmmontage zwischen Stil und Genre" von Hans Beller abgedruckt. Er ist auch online abrufbar.

Zitat:
Filmschnitt und Genre

Filmmontage zwischen Stil und Genre

Ein alter Streitpunkt der Filmanalyse: Ist die Montage abhängig vom Stilwillen der Macher und/oder vom Genre? In zwei Teilen wird sich Hans Beller dieser Frage nähern. In Teil eins geht es um das Widerspiel von fiktionalen und non-fiktionalen Konventionen.

Untersucht man die Subgenres des Spielfilms, dann unterscheiden sie sich kaum in den klassischen Montagemustern wie Schuß-Gegenschuß, Parallel- und Simultanmontage, Jump- und Match-Cuts etc. Bei einer filmischen Erzählung hängt die Plazierung einer Einstellung davon ab, ob der Zuschauer über mehr, weniger oder genau so viel Information verfügt, verfügen soll, wie der Protagonist. Der Kontext und nicht das Genre bestimmt die Plazierung von Einstellungen. Am Beispiel der Großaufnahme kann man analysieren, ob sie dazu dient, die Zuschauer zu überraschen, Suspense (Spannung, Zustand der Ungewißheit) in einem Thriller zu erzeugen oder einen Lacher in einer Komödie. Alfred Hitchcock erklärte dem Filmkritiker und Nouvel vague-Regisseur François Truffaut den Unterschied zwischen Überraschung und Suspense am Beispiel einer Bombe unter dem Tisch zweier Gesprächspartner. Weiß der Zuschauer durch eine Großaufnahme vorweg, daß da eine Bombe tickt, die in ein paar Minuten hochgeht, verfolgt er ängstlich gespannt die Aktion, das ist Suspense. Geht sie hoch, ohne daß der Zuschauer davon wußte, ist er nur für ein paar Sekunden überrascht, obwohl etwas Unerwartetes passierte (vgl. Truffaut: "Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?" München 1973, S.64).

Das selbe Montagemuster, die Plazierung eines Objekts als Großaufnahme vorweg, kann aber auch statt für Suspense in einem Thriller, für einen Lacher in einer Komödie sorgen. Darauf machte der Regisseur für große Leinwandepen, David Lean aufmerksam. Auch ihm geht es darum, wann die Großaufnahme beispielsweise einer Bananenschale in einem Laurel and Hardy Film eingeschnitten wird, bei dem die beiden Komiker in einer 15 Sekunden langen Halbtotalen auf einer Straße rennen: "Wenn man diese beiden Einstellungen einzig und allein unter dem Gesichtspunkt eines flüssigen Schnitts betrachtet, scheint die beste Stelle für die Großaufnahme die zu sein, an der der Fuß ins Bild kommt und ausrutscht, um dann zurück in die Halbtotale zu schneiden, in der Hardy auf den Bürgersteig fällt. Beide Schnitte wären glatt und flüssig, und wenn Hardy hinfällt, würde das Publikum lachen. Man hätte aber nicht den größten Lacher aus der Szene herausgeholt. Die Antwort liegt in einer sehr alten Komödienweisheit:

Erzähl dem Publikum, was du beabsichtigst zu tun. Mit anderen Worten, die Szene sollte folgendermaßen geschnitten werden:

1. Halbtotale von Laurel und Hardy, wie sie die Straße entlanglaufen.

2. Großaufnahme der Bananenschale auf dem Bürgersteig. (Du zeigst dem Publikum, was Du beabsichtigst, und es wird anfangen zu lachen.)

3. Halbtotale von Laurel und Hardy, wie sie weiterrennen. (Das Publikum lacht immer mehr.) Laß die Einstellung noch für ein paar Sekunden auf der Leinwand, bevor Hardy endlich auf dem Bürgersteig hinfällt. (Das Komische daran ist, daß das Publikum einen mit einem brüllenden Gelächter belohnen wird...)." (Zit. nach Karel Reisz, Gavin Millar: "Geschichte und Technik der Filmmontage". München 1988, S.73)

Auch die Schnittfrequenz, abhängig von der durchschnittlichen Einstellungslänge, läßt sich bisher nicht genrespezifisch zuordnen. Der Brite Barry Salt, der sich im Zusammenhang von "Filmstil und Technikgeschichte" mit den durchschnittlichen Einstellungslängen unterschiedlicher Regisseure und Genres beschäftigte, stellt für das Musical fest, daß bei ihm zumindest die Einstellungslänge genrespezifisch ist: "Man könnte meinen, daß die durchschnittliche Einstellungslänge mit dem Genre der betreffenden Filme zusammenhängt und gar nicht Sache der Regisseure ist, aber dies trifft nur in beschränktem Umfang zu. Nach Prüfung mehrerer hundert Filme zeigt sich, daß es eigentlich nur in einem Fall stimmt, und zwar beim Musical, wo es für den Regisseur vorgegeben ist, längere Einstellungen als sonst zu machen." (Vgl. Barry Salt: "Filmstyle and Technology". dffb-info April 1979/59 Teil 1, S.23f)

Musicals mit Fred Astaire und Ginger Rogers haben teilweise die Tanznummern als Plansequenzen inszeniert, um die artistische Leistung beim Tanzen unversehrt und damit authentisch zu demonstrieren. Howard Hawks und William Wyler beispielsweise behielten unabhängig vom Genre ihre durchschnittliche Einstellungslänge bei (ebd.). Das zeigt, die Einstellungslänge hängt eher vom Regiestil als vom Genre ab. Hitchcocks Rope (USA 1948) mit seinen minimalen, kaschierten Schnitten ist eben kein typischer Hitchcock-Film, sondern ein demonstrativer Versuch des Meisters der Montage.

Fiktional vs. Nonfiktional

Zu Beginn der Schnitte um 1900 wurde der die Ablaufzeit des gefilmten Realereignisses verkürzende, der elliptische Schnitt der Dokumentaristen, die etwa 87% des Produktionsvolumens drehten, von den Spielfilmern übernommen. Unterschiede in der Montage ergaben sich durch die Ausgangsbedingungen der vorgefundenen Wirklichkeit. Insbesondere die Kamerapositionen konnten nicht wie bei der Inszenierung im Studio gezielt ausgewählt werden. Die Dürftigkeit dokumentarischer Bilder aus dem Ersten Weltkrieg hing mit den lebensgefährlichen Dreharbeiten zusammen. Ein Frontkameramann konnte eben nicht auf einem Feldherrenhügel mit Teleobjektiv privilegierte Panoramaschwenks filmen, da er sofort von gegnerischen Scharfschützen erschossen worden wäre. Teleobjektive waren nur für den militärisch internen Gebrauch zugelassen, nicht für öffentliche Wochenschauen, und die Kameramänner gruben sich nächtens ein, um bei Tage aus dem schützenden Graben oder dem Unterstand zu kurbeln. In "The Battle of the Somme" (GB 1916) wurde aus diesem Grund eine auf englischem Kasernengelände gedrehte inszenierte Szene mit "fallenden Soldaten" in die faktische Szenerie der Westfront geschnitten. Auch montierte man die fröhlich winkenden Soldaten, die man beim Anmarsch noch ahnungslos aufgenommen hatte, ans Ende des Filmes. So entsteht der Eindruck, daß die Schlacht glücklich verlief, in Wirklichkeit standen die Soldaten nach ihren Erfahrungen an den Frontabschnitten so unter Schock, daß man aus propagandistischen Gründen nicht ihre entsetzten und fassungslosen Gesichter zeigte.

Die ersten abendfüllenden Dokumentarfilme von Robert J. Flaherty "Nanook of the North" (USA 1920) und Merian C. Cooper, der mit Ernest B. Schoedsacks die Abenteuer- und Reisedokumentationen "Grass" (USA 1923-1925) und "Chang" (USA 1925-1927) drehte, orientierten sich an den Montage-Konventionen des Erzählkinos. Insbesondere die Art von Schuß-Gegenschuß, die einen Blickenden zeigen und im Gegenschuß montieren, was er scheinbar sieht, ist gleichsam als Point Of View Shot vom Spielfilm abgeschaut. Flaherty hatte die Lebensweise der Inuit sowieso szenisch rekonstruiert (mit Harpune und Kajak statt mit Gewehren und Booten), Cooper und Schoedsack wechselten ohnehin in den fiktionalen Bereich und drehten später den Gruselklassiker "King Kong" (USA 1931/32). Flahertys spätere Filme heißen zwar immer noch Dokumentarfilme, basieren jedoch immer mehr auf inszenierter Wirklichkeit. Disney-Dokumentationen- wie "The Living Desert" (USA 1953) und "The Vanishing Prairie" (USA 1954) humanisieren auch das Tierleben, indem sie auf den Blick eines Tieres im Gegenschuß etwas zeigen, als ob es da auch wäre. Da die gleiche Montagetaktik in Tarzan-Filmen zu sehen ist, wenn Tieraufnahmen als humanisierende Reaction Shots insertiert werden, hat Barry Salt festgestellt, daß "die Schwindelei mit den Tieraufnahmen eine durchschnittliche Einstellungslänge bedingt, die von den 30er bis zu den 50er Jahren durchgängig immer bei knapp 4 Sekunden lag, unabhängig davon, wer Regie führte." Hier finden die -Erkenntnisse Kuleschows ihre kommerziell dramaturgische Umsetzung.

Die frühe sowjetische Dokumentarfilm-Avantgarde eines Dziga Vertov mit den Montagen seiner Frau Elizaveta Svilova - die Einstellungen in "Der Mann mit der Kamera" (UdSSR 1929) kombinierte, wie sie das Auge sonst nie zusammenbrächte, um sozio-ökonomische und technologische Zusammenhänge bewußt zu machen - dauerte nur für eine kurze freiheitliche Etappe, bevor sie von der staatlich verordneten Doktrin des sozialistischen Realismus abgelöst wurde. Hier gibt es Flickermontagen von kurzen Einstellungen und rasante Schnitte, wie sie von den russischen Montagisten auch im Spielfilm erprobt wurden aber auch kompositorische Montageprinzipien wie -Intervall und Liedform (Refrain etc.).

"Night Mail" (GB 1936), von Harry Watt und Basil Wright im Auftrag vom General Post Office (GPO) produziert, hat als Schlußpassage ein montiertes Crescendo furioso, in dem ein Kommentarsprecher mit seiner Stakkato-Voice-Over gleichsam das Rappen der 80er vorwegnimmt und die dazu komponierte Musik von Benjamin Britten dem ganzen einen dynamischen Rhythmus gibt. Der Brite Charles Ridley montierte zu Beginn des Zweiten Weltkrieges in dieser musikalisch-dynamischen Tradition den antideutschen Propagandafilm "Germany Calling", in dem er ausgerechnet Leni Riefenstahls "Triumph des Willens" (D 1934) umschnitt, zusätzlich streckenweise umkopierte und dadurch doppelte, um alles das, was den Nazionalsozialisten heilig war, mit britischem Humor zu bekämpfen. SS- und SA-Männer, der Führer und seine Vasallen ruckeln, zuckeln, marschieren im stotterndem Stechschritt nach dem damals populären englischen Gesellschaftstanz "Lambeth Walk" und demontieren damit Riefenstahls den Nationalsozialismus ästhetisierende Machart.

Hans Beller

Fortsetzung folgt...
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Horrorcollector



Anmeldungsdatum: 03.03.2005
Beiträge: 1579
Wohnort: Wuppertal

BeitragVerfasst am: 15 Apr 2005 12:23    Titel: Antworten mit Zitat

Hi,

Danke für den Artikel. Leider fühle ich mich dadurch aber nur noch mehr in meinem Entschluss bestätigt, die Schnitt nicht mehr zu kaufen...was wirklich neues erfährt man auch in diesem Artikel nicht, wie ich finde.

Grüsse,

Dennis Smile
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4LOM
Administrator


Anmeldungsdatum: 28.02.2005
Beiträge: 3350
Wohnort: North by Northwest

BeitragVerfasst am: 18 Apr 2005 11:12    Titel: Antworten mit Zitat

Horrorcollector hat folgendes geschrieben:
Danke für den Artikel. Leider fühle ich mich dadurch aber nur noch mehr in meinem Entschluss bestätigt, die Schnitt nicht mehr zu kaufen...was wirklich neues erfährt man auch in diesem Artikel nicht, wie ich finde.

Ich habe mir auch nur ab und zu mal Ausgaben der Zeitschrift gekauft, war aber noch nie so sonderlich begeistert gewesen. Nur bei bestimmten Themenschwerpunkten habe ich zugegriffen, oder wenn ich für den Weg von der Uni nach Hause im Zug nichts zu lesen dabei hatte. Allerdings ist das auch schon länger her, daß ich mir dann diese Zeitschrift gekauft habe. Ich lese viel lieber den "Film-Dienst", "EPD-Film" und natürlich die "Steadycam" ... wenn sie mal erscheint. Very Happy Da kann man ja schon mal ein halbes Jahr auf eine neue Ausgabe warten.

Trotzdem auch von mir an HAL ein Dankeschön. Grundlegend Neues gibt es darin aber wirklich nicht zu lesen. Für Leser, die sich aber noch nicht mit dem Filmschnitt beschäftigt haben, ist dies aber vielleicht ein interessanter Einstieg. Der Filmschnitt wird meiner Meinung nach aber in den meisten Publikationen viel zu stiefmütterlich behandelt, dabei handelt es sich aber gerade beim Schnitt um das Element, das dem Film als Kunstform eigen ist.
_________________
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--- Orson Welles
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HAL



Anmeldungsdatum: 28.03.2005
Beiträge: 194

BeitragVerfasst am: 06 Jul 2005 10:36    Titel: Antworten mit Zitat

Der zweite Teil ist online und hier zu finden:

Zitat:
In Teil 2 von Hans Bellers Betrachtung, inwieweit der Montagestil vom Genre abhängt, knüpft er zunächst an den Komplex fiktional/nonfiktional aus Teil 1 an, um sich dann Strategien wie der Kompilation und dem Musikschnitt zu widmen.

Der Zweite Weltkrieg machte die dokumentarische Montage obsolet, da die Fakten insbesondere bei den Naziwochenschauen der Propaganda weichen mußten. Auch das antisemitische Nazi-Machwerk "Der ewige Jude" (D 1941) warb auf Plakaten mit einer perfiden Authentizitätsstrategie: "Ein Dokumentarfilm über das Weltjudentum." "Einmalig, wie er nicht Phantasie ist, sondern unverfälschte interessante Wirklichkeit." "...bringt der Film Originalaufnahmen..." "Er zeigt ihr wahres Gesicht - sadistisch und grausam." Doch in dem Film werden polnische Juden mit Ratten analogisiert, indem die Montage demagogisch Juden/Ratten parallelisiert. Außerdem kommt der Film im Duktus damaliger Kulturfilme sowohl im Kommentar als auch in der Graphik daher. Es wird die "Ausbreitung des Weltjudentums" wie ein globaler Pilzbefall suggeriert oder wie die Verbreitung einer Beulenpest nach Ostpolen gleichsam medizinisch-wissenschaftlich auf einer Weltkarte dargestellt.

In totalitären Staaten wie der UdSSR und Rotchina verfügte man bis in die 80er Jahre zwar über 35mm Wochenschau- und Dokumentarfilmkameras, selten jedoch mit Synchronton versehen. So konnten auch systemkritische Motive musikalisch oder kommentatorisch im Sinne des sozialistischen Realismus auf auditiver Ebene nachträglich umgedeutet, gar heroisiert werden, da die manipulative Tonmontage, getrennt vom Bildanteil und Originalton, das Ausgangsmaterial im Sinne der Staatsdoktrin uminterpretierte.

Das französische Cinéma vérité und das amerikanische Direct Cinema der 60er arbeiteten mit leicht transportierbaren 16mm Kameras und Tonbandrekordern, die leicht handhabbare, synchrone Bild-Tonbeziehungen ermöglichten, wie man sie vorher noch nie im nonfiktionalen Bereich gesehen und gehört hatte. Hinzu kam das Konzept des Uncontrolled Cinema, das Inszenierung oder die Wiederholung einer Aktion für den Film als Kontrolle des Geschehens vor der Kamera untersagte. Die Filme hatten teilweise hohe Drehverhältnisse mit dem Effekt, daß oft ganze Rollen, in denen nichts Passendes zu finden waren, komplett ausgemustert wurden, aber einzelne Szenen, die sich als ausdrucksstark erwiesen, fast im Verhältnis 1:1 übernommen wurden. Die weniger puristischen Filmemacher wie Frederick Wiseman, dessen Drehverhältnisse bei etwa 1:35 lagen, montierten oft aus dramaturgischen Gründen innerhalb der Chronologie der gefilmten Ereignisse und schnitten im Filmverlauf eine andere als die tatsächliche Abfolge. Die ohne Kunstlicht gefilmten Ereignisse und die wackelnde Handkamera vermittelten den authentischen Reiz des unmittelbaren Dabeiseins.

Heute findet man diese Methode als dokumentarische Attitüde im Reality-TV, in Fakedokus, Doku-Soaps mit entfesselten DV-Kameras. Auch die Dogma-Filme ab 1995 haben eine ähnliche Haltung wie das Uncontrolled Direct Cinema der 60er. Das "Keuschheitsgelübde" des Dogma-Manifests verstand sich als Antithese zum dominierenden Mainstream der 90er. Insgesamt läßt sich ein Cross Over partiell und temporär zwischen Fiktional und Nonfiktional in den 90ern bis heute feststellen: Dokumentaristen inszenieren wieder, während sich die Spielfilmer, siehe Dogma, dem nonfiktionalen Stil mit kleinen DV-Kameras zuwenden. Die fiktionale mischt sich auch in den Montagestilen mit der nonfiktionalen Herangehensweise. So kam zusätzlich Bewegung in die Movies, die Schnittfrequenz wurde auch durch die Seherfahrungen mit der MTV-Ästhetik beschleunigt, Direct-Editing, Short- und Straight-Cuts wurden in der letzten Dekade so forciert, daß rauhe und abrupte Schnitte den unsichtbaren Schnitt und das Smooth Cutting zwar nicht ganz ablösten, aber sich doch daneben wie selbstverständlich behaupten. Das Verleugnen und Negieren vom 180°-Schema und der Kontinuität im Coverage ist selbst im Mainstream heutzutage kein Hindernis mehr. Insgesamt zeigt sich die Tendenz, das Mediale am Film merken zu lassen und nicht mehr, wie in der Illusionstraditon Hollywoods, es zu verheimlichen.

Kompilations-Montage

Das Kompilieren (compilatio, lat. für Plünderung), d.h. Zusammentragen und Montieren von Fremdmaterial aus Archiven oder filmischen Fundstücken (Found Footage), findet sich quer durch alle Filmgattungen und Genres. Die kompilatorische Montage unterscheidet sich von der Montage selbstgedrehten Materials, indem es meist schon für einen anderen Zweck und Kontext vormontiert war. Zum Beispiel basieren viele historiographische Dokumentarfilme auf Archivmaterial. Aufklärerische Dokumentationen über den Nationalsozialismus müssen sich dabei auf von Nationalsozialisten fabriziertes und zensiertes Material stützen, das eine kritische Intention sabotiert. In der Montage kann und muß dann die ursprüngliche Machart gekontert werden.

Mit Found Footage bezeichnet man die avantgardistische und experimentelle Verwendung von Fremdmaterial, die ihre Quelle und ihren Kontext nicht erwähnen muß und im Collage-Verfahren weniger sinnstiftend einen rationalen Diskurs anstrebt, wie beim Dokumentarfilm, sondern künstlerisch, assoziativ und surreal anarchisch montiert. Die kompilatorischen Montagen eines Bruce Connor aus den USA sind dafür berühmt geworden. Video-Clips können ebenfalls Kompilationen sein, wie sich generell alle Formen der Montage in dieser Gattung finden lassen. In "Numb" von der Gruppe U2 werden Fernsehausschnitte rhythmisch montiert.

Auch die sogenannten Montage-Sequenzen enthalten oft Fremdmaterial, wenn es um die thematische Reihung historischer Fakten geht, die durch rasch hintereinander überblendete kurze, impressionistische Archivaufnahmen geschieht. Der Regisseur und Montagetheoretiker Karel Reisz definierte die Funktion der Montage-Sequenz: "Da das Ziel einer modernen Montage-Sequenz ist, eine Reihe von Fakten zu vermitteln, die erst zusammen etwas aussagen, daher wird das Nebeneinander bestimmter einzelner Einstellungen unwichtig [...]. Man benutzt stattdessen Blenden." Und er rät den Editoren, diesen Sequenztyp kurz zu halten, da er nur Löcher in der Erzählung stopfe und die Ebene der geradlinigen Erzählung plötzlich verlasse (Karel Reisz, Gavin Millar: "Geschichte und Technik der Filmmontage". München 1988, S.79f.). In der Titelsequenz von Oliver Stones "JFK" (USA 1991) wird Archivmaterial mit Selbstgedrehtem so geschickt in der Montage vermischt, daß man es nicht merken soll und der Auftakt der Story über die Verschwörung des Kennedy-Mordes gleich mit einer irritierenden Initialzündung der Exposition beginnt.

Musikschnitt, Clip-Montage

Schon im Stummfilm, der niemals in Kinos stumm vorgeführt wurde, kamen musikalische Rhythmen durch die Montage in den Film. Der sinfonische Schnitt, der bei "Berlin, Sinfonie der Großstadt" (D 1927) kompositorisch musikalischen Prinzipien und weniger narrativen folgt, war ein Gestaltungsmittel des Stummfilms. Bei Walter Ruttmanns Dokumentarfilm über Berlin handelte es sich dabei um einen sogenannten Querschnittsfilm, der die Stadt innerhalb eines Tages und anschließender Nacht zeigt, auch wenn sich die Dreharbeiten über Monate hingezogen hatten. Hier entspricht die Reihung durch die Montage thematisch verbundener Motive den musikalischen "Variationen eines Themas". In der dokumentarischen Montage findet man häufiger musikalisch kompositorische Muster, die nicht der kausalen Logik eines Handlungsablaufes gehorchen. Auch Vertovs "Der Mann mit der Kamera" folgt streckenweise in seiner Montage musikalischen Mustern, und Joris Ivens "Zuidersee" (NL 1931-33), eine stumme Dokumentation über den Deichausbau eines Küstenabschnitts der Niederlande, gleicht gegen Schluß dem kompositorischen Muster eines crescendo furioso finale. Später wurde das Material in dem Ivens-Film "Nieuwe Gronden" (NL 1934, Neue Erde) mit einer Musik von Hans Eisler versehen.

Grundsätzlich muß man beim Musikschnitt unterscheiden, ob eine Komposition schon vorher existiert, man den Film extra danach dreht und schneidet (Video-Clip), oder ob die Montage eine schon vorhandene Musik (dann auch "Konserve" genannt) dem fertigen Film anpaßt, oder etwa eine Filmmusikkomposition verwendet wurde. Jedenfalls ist jede Musik in einem Film "Filmmusik", auch wenn sie ursprünglich für andere Zwecke und in anderem Kontext komponiert wurde. Jean Mitrys "Pacific 231" (F 1949) montiert Einstellungen von der Fahrt der französischen Lokomotive "Pacific 231" auf die vorkomponierte und gleichlautende Musik von Arthur Honegger und erlangte damit den Preis für den besten Schnitt in Cannes 1949.

Auch im Video-Clip, deren teurere Produktionen auf 35mm-Material und nicht auf Video gedreht und nur in der Postproduktion digital bearbeitet werden, kann man ausnahmslos alle schon erwähnten Montagemuster wiederfinden. Dem gängigen Klischee, Clips würden nur mit Short Cuts und damit hoher Schnittfrequenz montiert, muß hier widersprochen werden.

Montageanalyse verlangt also nach Kasuistik, d.h. man muß von Fall zu Fall unterscheiden, da sich zwar Schemata und Muster in der Filmmontage nachweisen lassen, diese aber eben keine Rezepte sind und auch vom Temperament der Macher abhängen.

Hans Beller
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