helmi

Anmeldungsdatum: 10.03.2005 Beiträge: 2820 Wohnort: Hall of the incredible macro Knight
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Verfasst am: 08 Sep 2009 12:01 Titel: Sturm, der neue Film von Hans-Christian Schmid FD 19/09 |
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Sturm artikel / kinotipp
Im Jahr 2010 läuft das Mandat des Tribunals am Internationalen Gerichtshof in den Haag aus, das Menschenrechtsverletzung ahndet, die während des Balkankriegs begangen wurden. Für die Traumata der ehemaligen Opfer existiert indes keine Verjährungsfrist. In diesem Spannungsfeld zwischen dem Streben nach Gerechtigkeit, juristischen Formalia und politischen Verstrickungen bewegt sich Hans-Christian Schmids Film, ein Justiz- und Politthriller, der weniger Genrekonventionen folgt als um Wahrhaftigkeit im Umgang mit seinem heiklen Stoff bemüht ist.
Im Mittelpunkt der sich über mehrere europäische Länder erstreckenden Handlung steht eine engagierte Staatsanwältin, die in Den Haag einen ehemaligen General der jugoslawischen Volksarmee für Kriegsverbrechen zur Rechenschaft ziehen will. Als sich der Hauptbelastungszeuge als unglaubwürdig erweist und Selbstmord begeht, droht die Anklage zusammenzubrechen. Die Juristin findet in der Schwester des Toten ein ehemaliges Opfer des Angeklagten, dessen Aussage die Situation verändern könnte. Die junge Frau, die mittlerweile in Deutschland lebt, will die Vergangenheit am liebsten hinter sich lassen und zögert, die alten Wunden zu öffnen. Aber auch interne Vorgänge in der eigenen Behörde drohen den Kampf der Anklägerin um einem fairen Prozess zu torpedieren. Im beeindruckenden Zusammenspiel der starken Hauptdarstellerinnen und einer mehr um Authentizität als um Spannungseffekte bemühte Inszenierung gelingt es dem Film, ebenso brisante wie dringliche Fragen nach dem Verhältnis von Gerechtigkeit und politischem Kalkül aufzuwerfen.
Scope. Deutschland/Dänemark/Niederlande 2009
Regie: Hans-Christian Schmid
Länge: 105 Min.
Verleih: Piffl
Kinotipp der katholischen Filmkritik 192/September 2009
Sturm kritiken / kino
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Es gibt Regisseure, deren gesamtes Werk sich als Variation eines einzigen Films deuten lässt. Es sind, wenn man an derart obsessiv Getriebene wie David Lynch, Ingmar Bergman oder Rainer Werner Fassbinder denkt, nicht die schlechtesten. Hans-Christian Schmid gehört nicht zu ihnen. Er zählt auch nicht zu den Vielfilmern, die jedes Jahr wenigstens einen Film heraushauen und neben jeder Menge Ramsch auch manche Kinoperle auf die Leinwand bringen. In den 13 Jahren, die seit seinem charmanten Debüt „Nach fünf im Urwald“ (fd 31 882) vergangen sind, inszenierte der an der HFF München ausgebildete Dokumentarfilmer „nur“ fünf weitere Spielfilme. Diese sind dafür umso sorgfältiger. So ist Schmids Œuvre bislang noch von Ausrutschern verschont geblieben. Jeder Film ist auf seine Art gelungen: „23“ (fd 33 482) als rauer Hacker-Thriller, „Crazy“ (fd 34 303) als warmherzige Teeniekomödie, „Lichter“ (fd 36 069) als realitätsnahes Gesellschaftsporträt, „Requiem“ (fd 37 501) als aufwühlende Psychostudie. Dabei meisterte Schmid Außen- und Innenperspektiven, soziales und psychologisches Drama und erwies sich als Entdecker (im Kino) eher unbekannter Schauspieler wie Franka Potente, August Diehl oder Sandra Hüller. Eine solche Entdeckung gibt es in „Sturm“ trotz guter Hauptdarsteller nicht, was wohl vor allem daran liegen dürfte, dass der politische Blick von außen über die seelische Innenschau dominiert.
Im Mittelpunkt steht eine Anklägerin am Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Die von Kerry Fox glaubwürdig verkörperte Hannah Maynard ermittelt gegen Goran Duric, einen ehemaligen Befehlshaber der jugoslawischen Armee. Doch ihre Beweisführung bricht zusammen, als ihr Hauptbelastungszeuge der Falschaussage überführt wird und sich kurz darauf das Leben nimmt. Die Anklage droht zu scheitern, bis Hannah auf dem Begräbnis des Zeugen Mira Arendt begegnet, der Schwester des Toten, und herausfindet, dass sie eines der Opfer von Duric war. Mira wurde von Durics Einheit in ein Vergewaltigungscamp verschleppt, worüber sie jahrelang schwieg, auch gegenüber ihrem eigenen Mann. Jetzt will sie endlich aussagen, doch genau das versuchen die Täter von damals gewaltsam zu durchkreuzen. Dennoch gelingt es Hannah, Mira zu einer Aussage zu bewegen, was in Folge fragwürdiger politischer Absprachen hinter den Kulissen noch verhindert werden soll – und das ausgerechnet von Hannahs eigenen Leuten.
Mit „Sturm“ hat Schmid als Spielfilmregisseur erstmals (beinahe) vollständig deutschen Boden verlassen – der Bezug zum Produktionsland wird nur noch behelfsmäßig aufrecht erhalten (Mira lebt dort mit ihrem deutschen Mann) – und jenen internationalen Blickwinkel eingenommen, der sich schon in „Lichter“ andeutete und auch Schmids jüngsten Dokumentarfilm „Die wundersame Welt der Waschkraft“ (fd 39 275) prägte. „Sturm“ ist Schmids erste überwiegend englischsprachige Produktion und markiert einen weiteren Schritt in der Entwicklung vom bayerischen zum internationalen Filmemacher, vom kleinen zum großen Kino, ohne dass der Regisseur auf diesem Weg seine aus dem Dokumentarfilm entlehnten Prinzipien wie die differenzierte Charakterbeschreibung oder den intimen (Hand-)Kamerablick aufgegeben hätte.
Während bei Schmid der Sprachwechsel keinen Identitätsverlust bewirkt, ist das bei seinen Filmfiguren ganz anders. Gleich zu Beginn ist es die Frau des mutmaßlichen Kriegsverbrechers Duric, die das familiäre Idyll der am Strand spielenden Kinder mit einem harschen „Sprich Spanisch!“ durchbricht. Später, als Mira von einer Zeugenbegleiterin in ein gesichertes Hotel geführt wird, wo sie auf den Tag ihrer Aussage warten soll, wird ihr eingeschärft: „Sprechen Sie nicht in Ihrer Muttersprache!“ Diese Sprachversagung symbolisiert eine verdrängte, unaufgearbeitete Vergangenheit, der sich Mira aus zutiefst persönlichen, therapeutischen Beweggründen stellen möchte, ja stellen muss, indem sie ihr langjähriges Schweigen bricht und die erlittenen Erniedrigungen in Worte fasst. Es sind die individuellen Geschichten wie die von Mira, die hier als Fundament einer historischen Vergangenheitsbewältigung erahnbar werden. Das, so suggeriert Schmids Film, ist es, worauf es in Den Haag zu allererst ankommt: den Opfern ihre Stimmen zurückzugeben, ihnen zuzuhören. Gerade dieses Recht droht ihnen durch opportunistisches Geschacher und bürokratische Routine versagt zu werden.
Vor der Folie eines packenden Politthrillers lässt sich der in den Hauptrollen überzeugend, in den Nebenrollen bisweilen etwas unglücklich besetzte Film auch als Appell für eine stärkere Unterstützung des mit viel zu geringen Ressourcen ausgestatteten Tribunals lesen, dessen UN-Mandat 2010 beendet werden soll. Indirekt macht sich „Sturm“ für eine Verlängerung dieses Mandats stark, unmittelbar schlägt er sich im Zwiespalt zwischen individueller Wahrheitsfindung und politischem Pragmatismus auf die Seite der Einzelnen. So finden zumindest hier die kleinen Leute, die Opfer im großen Spiel der Macht, doch noch Gehör. Im Bemühen um eine authentische Darstellung des Geschehens greift Schmid auf formale Mittel zurück, die vor Jahren noch primär mit Dokumentationen assoziiert wurden – wacklige Handkamerabewegungen, ruckartige Zooms –, sich mittlerweile aber als Darstellungsmittel von Authentizität im Spielfilm etabliert haben. Die Stärke von „Sturm“ wie von Schmid ist es, diesen Stil nicht als formalistisches Blendwerk zu verwenden, sondern mit seiner Hilfe emotionale Nähe und damit auch die nötige Empathie zu erzeugen, um dringliche politische Fragen glaubhaft aufzuwerfen.
endlich ein neuer film von Schmid, da kommt freude auf!
gruss
helmut _________________ Der Mensch lässt sich grob in zwei Gruppen einteilen: in Katzenliebhaber und in vom Leben benachteiligte.
Francesco Terarca |
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