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Die Filme des Luis Buñuel
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Neophyte
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BeitragVerfasst am: 06 Aug 2007 14:21    Titel: Antworten mit Zitat

Seite #2. Very Happy

Dr. Strangelove hat folgendes geschrieben:

[...]Auch die Idee mit der Nachstellung des letzten Abendmahls ist schlichtweg genial wie überraschend. [...] Trotz der realistischen Machart ist der Film für mich aber doch etwas zu ernst, um mir wirklich zu gefallen. Ein perfekter Film, ohne Zweifel, aber irgendwie zur Zeit nicht mein Bunuel-Jahrgang. Aber ich vermute stark, daß dieser Film wie guter Wein mit der Zeit reift.

Der danach entstandene Würgeengel hat mich dagegen viel stärker beeindruckt und gefesselt.


Eben jene Abendmahl-Szenen liebe ich aufrichtigst. Sie sind schlichtweg grandios - ja, ein anderes Wort fällt mir nicht ein.

Ein klein wenig OT:
Ich habe übrigens die auf Seite #1 von Sebastian verlinkte Box gekauft (soviel dazu das ich Tipps sehr ernst nehme!) und warte nun sehnsüchtig auf ihr Ankommen, und wenn es denn dann soweit ist, kann es schonmal passieren das ich 2 Tage off bin; schließlich habe ich 7 Filme des Mannes zu sichten Wink
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Dr. Strangelove



Anmeldungsdatum: 02.08.2005
Beiträge: 1806

BeitragVerfasst am: 06 Aug 2007 15:32    Titel: Antworten mit Zitat

Neophyte hat folgendes geschrieben:
...wenn es denn dann soweit ist, kann es schonmal passieren das ich 2 Tage off bin; schließlich habe ich 7 Filme des Mannes zu sichten Wink

Aber doch nicht am Stück! Shocked
Große Kunst wie ein Werk von Bunuel muß man langsam konsumieren, und nicht wie der Chauffeur im Diskreten Charme der Bourgeoisie, der den Martini auf ex hinterschüttet Very Happy Ich erinnere mich noch damals an die Kubrick-Filme. Da hatte ich nur einen pro Woche geschafft, weil ich die ganze Woche wie wild damit beschäftigt war, Antworten auf die unzähligen entstandenen Fragen zu finden.
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"Un artiste est toujours jeune" Jean-Marie Straub
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Neophyte
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BeitragVerfasst am: 06 Aug 2007 16:38    Titel: Antworten mit Zitat

Dr. Strangelove hat folgendes geschrieben:
Neophyte hat folgendes geschrieben:
...wenn es denn dann soweit ist, kann es schonmal passieren das ich 2 Tage off bin; schließlich habe ich 7 Filme des Mannes zu sichten Wink

Aber doch nicht am Stück! Shocked


Oh, doch Cool Das ist wie die Vorfreude eines Kindes auf ein Geburts-, oder Weihnachtsgeschenk. Ich will mich mit der Materie Bunuel auseinandersetzen, und dafür würd' ich durchaus schonmal ein WE opfern; gar kein Thema für mich.

Dr. Strangelove hat folgendes geschrieben:
Große Kunst wie ein Werk von Bunuel muß man langsam konsumieren, und nicht wie der Chauffeur im Diskreten Charme der Bourgeoisie, der den Martini auf ex hinterschüttet Very Happy


Ja, das ist ein guter Vergleich und er lässt mich auch an meinen Vorhaben die alle hintereinander zu gucken zweifeln; vorübergehend Wink
Es ist aber genau der Film mit den ich anfangen möchte.

Dr. Strangelove hat folgendes geschrieben:
Ich erinnere mich noch damals an die Kubrick-Filme. Da hatte ich nur einen pro Woche geschafft, weil ich die ganze Woche wie wild damit beschäftigt war, Antworten auf die unzähligen entstandenen Fragen zu finden.


Hm, das kann eigentlich nur "2001" gewesen sein, oder? Ist zwar ein grandioser Film, aber nicht sein bester. Nein, dies bleibt IMO immer ... ist zumindest mein Lieblings-SK-Film Cool
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Dr. Strangelove



Anmeldungsdatum: 02.08.2005
Beiträge: 1806

BeitragVerfasst am: 06 Aug 2007 16:52    Titel: Antworten mit Zitat

La voie lactée kommt im August als Criterion!
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"Un artiste est toujours jeune" Jean-Marie Straub
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Neophyte
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BeitragVerfasst am: 17 Aug 2007 20:21    Titel: Antworten mit Zitat

Nun habe ich mir die gesamte Box angeschaut - außer Belle de Jour, den kannte ich ja bereits - und bin zu dem Schluß gekommen, dass alle der 7 verbleibenden Filme durchaus das Prädikat "Meisterwerk" verdient haben. Meine absoluten Favoriten der Box sind dann die 3 folgenden:
#1: Le Charme discret de la bourgeoisie
#2: Le Fantôme de la liberté
#3: La Voie lactée

Feststeht somit entgültig, dass ich mir ausnahmslos jeden der verbleibenden Filme des Meisters des Surrealismus zulegen werde Very Happy

Mein Dank geht hiermit erneut an Sebastian der mir diese Box empfahl, sowie an Dr. Strangelove der meinen ohnehin schon kaum zu bändigen Heißhunger auf diese Filme weiterhin schürte. Wink
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Dr. Strangelove



Anmeldungsdatum: 02.08.2005
Beiträge: 1806

BeitragVerfasst am: 17 Aug 2007 20:57    Titel: Antworten mit Zitat

Neophyte hat folgendes geschrieben:
Nun habe ich mir die gesamte Box angeschaut und bin zu dem Schluß gekommen, dass alle der 7 verbleibenden Filme durchaus das Prädikat "Meisterwerk" verdient haben.

Freut mich wirklich, daß dir die Filme zugesagt haben. Es sind zufällig auch meine Favoriten aus dem Spätwerk des großen Konstrukteurs.
Zur Feier des Tages werde ich das gleich mit einem imaginären eisgekühlten Dry Martini begießen, natürlich in konischen Gläsern Very Happy
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Neophyte
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BeitragVerfasst am: 17 Aug 2007 21:06    Titel: Antworten mit Zitat

Dr. Strangelove hat folgendes geschrieben:
Neophyte hat folgendes geschrieben:
Nun habe ich mir die gesamte Box angeschaut und bin zu dem Schluß gekommen, dass alle der 7 verbleibenden Filme durchaus das Prädikat "Meisterwerk" verdient haben.

Freut mich wirklich, daß dir die Filme zugesagt haben. Es sind zufällig auch meine Favoriten aus dem Spätwerk des großen Konstrukteurs.


Da kannste mal wieder sehen - über Geschmack lässt sich nicht streiten Wink

Dr. Strangelove hat folgendes geschrieben:
Zur Feier des Tages werde ich das gleich mit einem imaginären eisgekühlten Dry Martini begießen, natürlich in konischen Gläsern Very Happy


Bin dabei.
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Neophyte
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BeitragVerfasst am: 29 Aug 2007 18:39    Titel: Antworten mit Zitat

Sebastian hat folgendes geschrieben:
Und das wichtigste noch zum Schluss: Bunuels Autobiographie "Mein letzter Seufzer" als Begleitlektüre lesen. Und das ist ein Befehl! Smile


Sir, ich werde Ihren Befehl morgen via Bestellung im Buchladen meines Vertrauens, ausführen, Sir. Wink

Sebastian hat folgendes geschrieben:
Un chien andalou und l'age d'or sind selbstredend ein Muss...


Auch letzteren habe ich mittlerweile bestaunen dürfen. Auch hier komme ich um das Prädikat Meisterwerk nicht herum. Very Happy
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BeitragVerfasst am: 31 Jan 2008 13:46    Titel: Antworten mit Zitat

Film-Dienst 03/2008:
Zitat:
Luis Buñuel und die Folgen
So einzigartig Luis Buñuels Gesamtwerk ist, so inspirierend wirkte es auf viele andere Filmemacher bis in die Gegenwart. Neben seinem gesellschaftskritischen Ton, gepaart mit wunderbarer Ironie, ist es vor allem sein bahnbrechender Umgang mit den gegensätzlichen Sphären der Wirklichkeit und der Rationalität auf der einen und der Fantasie sowie der Macht des Unterbewussten auf der anderen Seite, der Filmgeschichte schrieb. Von seinen ersten Filmen bis zu seinem Spätwerk entzieht Buñuel dem, was wir als Realität ansehen, die Vorherrschaft über das Leben und stellt ihr eine „innere Wirklichkeit“ gleichberechtigt gegenüber, die gespeist wird vom Unterbewussten als Urquelle aller Kreativität. In der Reihe „Der Zauber des Surrealen“ präsentiert 3sat vom 7. bis 18.2.2008, begleitend zur Buñuel-Retrospektive der „Berlinale“, nicht nur sechs Klassiker des buñuelschen Werks, sondern auch Filme, die den Einfluss des Altmeisters nicht leugnen können. Ist Manoel de Oliveiras „Belle toujours“ (7.2., Kritik in dieser Ausgabe) eine ironisch-verspielte Verlängerung von Buñuels „Belle de jour“, so ist in drei weiteren Filmen gerade der surreal-fantastische Charakter seiner Filme prägend. Carlos Saura nähert sich dem Schaffensprozess des Malers Francisco de Goya, der auch von Buñuel verehrt wurde, und erklärt in „Goya in Bordeaux“ (13.2.) visuell eindrucksvoll die Bilderwelt des Malers als Produkt der ineinander fließenden Ebenen von Traum und Wirklichkeit. „Johnny zieht in den Krieg“ (10.2.) ist ein Antikriegsfilm, den Buñuel, ausgehend von Dalton Trumbos gleichnamigem Roman, zunächst selbst realisieren wollte; als es dazu nicht kam, inszenierte Trumbo selbst die Geschichte eines verkrüppelten Soldaten, der als Torso nur noch aus rudimentärem Oberkörper und Bewusstsein besteht. Dennoch atmet der Film in jeder Szene Buñuels Geist und wurde von ihm nach der Fertigstellung vehement protegiert. Kaum vorstellbar ohne den Einfluss Buñuels sind die Filme von David Lynch: Seit seinen Anfängen gewinnt das Surreale, Irreale und Unterbewusste in seinen Filmen immer mehr an Raum. In „Mulholland Drive“ (15.2.) wird die Auflösung der Persönlichkeit so weit getrieben, dass zwischen dem realen Geschehen und der Welt des Imaginären und Unterbewussten kaum noch unterschieden werden kann.



Zitat:
Einschnitte und Tabubrüche
Luis Buñuels Nachwirkungen in der Filmgeschichte

Mit einem zügigen Schnitt wird die Klinge des Rasiermessers durch das Auge gezogen, dessen Oberfläche sich teilt und gallertartige Substanz freigibt. Fade to Black.

Zuvor sehen wir den Regisseur selbst – Luis Buñuel. Er betrachtet den Himmel, testet die Rasierklinge an seinem eigenen Fingernagel. Das Auge einer Frau wird von einer Hand offen gehalten. Eine Wolke teilt den vollen Mond. Als der Schnitt im doppelten Sinne erfolgt, fällt kaum noch auf, dass es sich bei dem verwundeten Auge nicht mehr um ein menschliches handelt, denn es ist von dunklem Fell umgeben. Dieser Schock sitzt tief und kann als eine der perfidesten und effektivsten Schnittfolgen der Filmgeschichte gelten – immer im doppelten Sinn des Wortes. Buñuel war klar, dass er den Zuschauer eines visuellen Mediums vor allem über sein präsentes Sinnesorgan würde attackieren können. Und sein surrealistischer Kollege George Bataille formulierte diesen Gedanken in einem sexualphilosophischen Prosatext aus: „Die Geschichte des Auges.“

Schockbilder sind ästhetische Mittel der Konfrontation des Zuschauers mit einer emotional aufwühlenden Irritation. Luis Buñuel verwendete derartige Momente häufig im Rahmen des surrealistischen Frühwerks, und zwar meist in Form einer ganzen Reihe von Schockmomenten, die nach ihm keineswegs als Symbole zu deuten seien. Wesentlich erscheint dabei das Motiv der Körperzerstörung, die im Zerschneiden des Auges einen bis heute selten erreichten Höhepunkt findet. Der Angriff auf den Körper ist letztlich eine universale menschliche Angstvorstellung, an die immer wieder im Film appelliert wird, um die Intensität des Schocks zu erreichen. Und die Zerstörung des Sehsinns bricht nicht nur das Diktum von der Unversehrbarkeit des Körpers, sondern ist gerade für den Filmzuschauer von sonderer Bedrohlichkeit.

Eine besondere Rolle bei der Gestaltung von filmischen Schockmomenten kommt also dem kalkulierten Tabubruch zu. Oft ist ein solcher Tabubruch der Schlüsselmoment der Inszenierung, oft zwingt dieser den Rezipienten, sich mit einem gesellschaftlich und kulturell verankerten Tabu auseinander zu setzen. Die Übertragung des ethnologischen Begriffs „Tabu“ auf die Neurosen der westlichen Gesellschaft geht auf Sigmund Freud zurück, der in „Totem und Tabu“ (1913) die Grundzüge definiert. Das Tabu braucht nach ihm keine rationale Begründung, es ist somit in gewisser Weise willkürlich. Betrachtet man sich allerdings Tabus der westlichen Industriegesellschaft, so haftet diesen meist eine bestimmt rationale Erklärung an, die als Begründung für die „innere Nötigung“, das Tabu zu achten, fungiert. Im Bruch des Tabus liegt zugleich der starke Affekt: die Überschreitung der Tabugrenze zu begehren, um das verbotene „Andere“ zu erlangen. Mit der Änderung gesellschaftlicher Wertvorstellungen kann sich die spezielle Ausprägung von Tabus „verschieben“. Deutlich wird immer wieder die „Ansteckung“ durch das Tabu bzw. den Tabubruch: Wer das Tabu bricht, wird selbst zur tabuisierten Person.

Es haben sich gesellschaftliche Rituale und Verhaltensweisen etabliert (Freud nennt das „Gebote“), wie mit einer bestimmten Thematik zu verfahren ist, denn: „Der Mensch, der ein Tabu übertreten hat, wird selbst tabu, weil er die gefährliche Eignung hat, andere zu versuchen, dass sie seinem Beispiel folgen. Er erweckt Neid; warum sollte ihm gestattet sein, was anderen verboten ist? Er ist also wirklich ansteckend, insofern jedes Beispiel zur Nachahmung ansteckt, und darum muss er selbst gemieden werden.“ Der Aufruhr, den Buñuels frühe Filme verursachten, mag als Beispiel dienen. Interessant ist an diesem Aspekt, dass dem tabubrechenden Film explizit verführerische Qualitäten zugestanden werden: der Tabubruch, die Grenzüberschreitung selbst ist verführerisch. Und das Bewusstwerden dieser Verführungskraft, das den Rezipienten in eine Krise stürzen soll, gehört zur Strategie der schockorientierten Inszenierung.

Buñuel kehrte Ende der 1960er-Jahre zu den subversiven Widersinnigkeiten und Schocktaktiken des Surrealismus zurück, wobei er sich immer wieder mit dem Tabu-System des Katholizismus auseinander setzte. In „Die Milchstraße“ (1969) etwa wird der Papst von einem Anarchisten erschossen, in „Der diskrete Charme der Bourgeoisie“ (1972) sehen wir bürgerliche Feste, die die beschauliche Welt aus den Fugen geraten lassen: Am Tisch sitzt man auf Toilettenschüsseln, während man sich dezent zum Essen ins Nebenzimmer zurückzieht.

Eine ganze Generation junger spanischer Filmemacher wie Fernando Arrabal oder Alejandro Jodorowsky folgte Buñuels Beispiel und kreierte eine eigene Vision surrealistischen Schock-Kinos. 1962 gründete Jodorowsky mit dem Dramatiker Fernando Arrabal und dem Schriftsteller und Maler Roland Topor das „Mouvement panique“, benannt nach dem griechischen Hirtengott Pan. Jodorowskys intensives Interesse am absurden Theater führte ihn – wie Buñuel – für einige Jahre nach Mexiko, wo auch seine ersten drei Langfilme „Fando y Lis“ (1968), „El Topo“ (1970) und „Montana Sacra – Der heilige Berg“ (1973) entstanden. „Fando y Lis“ basiert rudimentär auf dem gleichnamigen Theaterstück von Fernando Arrabal. Der Film erzählt in kargen Schwarz-Weiß-Bildern von der Suche der beiden Protagonisten nach der mystischen Stadt Tarr, die die Erfüllung der geheimsten Wünsche verspricht. Während ihrer Reise treffen sie auf verschiedene albtraumhafte Charaktere, die sie am Weiterziehen hindern wollen. Am Ende erkennt Lis, dass die Stadt Tarr in ihnen selbst liegt. Fando tötet sie in einem Wutanfall; Lis wird in einer Art Eucharistiefeier aufgegessen, und beide werden nackt wiedergeboren. Die Heilssuche von Fando und Lis wird mit unzähligen Symbolen und Verweisen auf die christliche Mythologie begleitet. Die blasphemische Interpretation eines der fundamentalsten Rituale des christlichen Glaubens am Ende wird in expliziten Bildern zelebriert und rief entrüstende Reaktionen unter den Zuschauern hervor.

Fernando Arrabals Theater, das diesem Film vorangeht, ist etwa zwischen dem absurden, dem surrealistischen und dem ,,Theater der Grausamkeit“ Antonin Artauds anzusiedeln. 1970 drehte Arrabal nach seinem autobiografischen Roman ,,Baal Babylone“ (1958) den Film „Viva la Muerte“, in dem er die Ereignisse seiner Kindheit aufarbeitet. Bei dem 1936 von Marokko ausgehenden Putsch Francos wurde sein Vater verhaftet und von der Mutter für tot erklärt. In Roman und Film deutet Arrabal an, das Trauma seiner Kindheit sei die Ahnung, seine Mutter selbst hätte den Vater an die Frankisten verraten. „Viva la Muerte“ war zugleich der Schlachtruf der Faschisten im Spanischen Bürgerkrieg, die zu Beginn des Films mit dröhnendem Lautsprecher an dem kleinen Jungen Fando (Mahdi Chaouch) vorbeifahren. Der Junge erlebt den Bürgerkrieg als alltägliches Drama, das seine Familie zerstört und das seine persönliche Entwicklung nachhaltig prägen wird. Unfähig, seine Erlebnisse zu verarbeiten, steigert er sich in bizarre Traumwelten voll blutiger Rituale und beginnt selbst, grausame Streiche zu spielen. Arrabal sucht mit monochrom eingefärbten Visionen nach seinen damaligen Träumen, entwirft Rituale der Initiation, die immer wieder von monotonen Fragen und Antworten unterbrochen werden, in denen die Mutter dem Sohn ihre verquere faschistische Weltsicht vermittelt.

Erst später, mit dem surrealen Episodenfilm „Ich werde laufen wie ein verrücktes Pferd“ (1973), wird sich Arrabal Luis Buñuels surrealistischem Universum annähern. Dieser Film ist von Struktur und Inszenierung her komplexer und weniger stringent. Erzählt wird die Geschichte von Aden (George Shannon), der aus der zivilisierten Welt flüchtet, nachdem er seine kontrollsüchtige Mutter getötet hat. In der nordafrikanischen Wüste entdeckt er die Schönheit der Wildnis und wird unter der Aufsicht des zwergwüchsigen Mystikers Marvel (Hachemi Marzouk) als Mann initiiert. Dort wird ihm bewusster denn je, wie sehr sich die Menschheit von ihren Wurzeln und der Natur entfremdet hat. In diesem zweiten Film erzählt Arrabal eine allegorische Liebesgeschichte, die er mit einer teilweise verstörenden, teilweise grotesken Schock-Ästhetik aufbereitet und sich so Alejandro Jodorowskys episodischen Hauptwerken „El Topo“ und „Montana Sacra – Der heilige Berg“ annähert, die ebenfalls von spiritueller Suche erzählen.

Während die Schock-Taktiken des Surrealismus’ auch im internationalen Kino Fuß fassen konnten (von Federico Fellini bis David Lynch, von Harry Kümel bis Olivier Schmolders), blieb es vor allem den spanischen Erben Buñuels überlassen, einen Schritt weiter zu wagen. „Tras el cristal“ (1987) des Spaniers Augustin Villaronga mag als Beispiel dienen. Der morbide Psychothriller erzählt von dem pädophilen ehemaligen KZ-Arzt Klaus (Günther Meisner), der nach einem Selbstmordversuch in einer eisernen Lunge liegt. Als Krankenpfleger verschafft sich der junge Angelo (David Sust) Zugang zu dessen Haushalt und beginnt gleich am ersten Abend, hemmungslos seine obsessive Liebe zu dem älteren Mann auszuleben. Nachdem er Klaus’ Frau getötet hat, beginnt er, die Villa zu einem bizarren Konzentrationslager umzugestalten. Auch die pädophilen Neigungen des alten Mannes führt Angelo fort: Er opfert ihm kleine Jungen auf dieselbe Weise, wie es Klaus einst selbst getan hat. In einem finalen Gewaltakt outet sich Angelo als ehemaliges Opfer und lässt Klaus qualvoll verenden. Die Transformation wird vollendet, indem der junge Mann sich selbst in die eiserne Lunge legt und die unheilvolle Saat an Klaus’ junge Tochter weitergibt. Villaronga konfrontiert den Zuschauer mit albtraumhaften Bildern und einer kühlen, synthetischen Musik, die den Zuschauer gnadenlos den Schockszenen ausliefern. Doch das Tabu ist hier nicht nur der Kindesmord, die pädophile Vergewaltigung oder die Schändung des Sterbenden, es ist die Tatsache, dass ein Opfer selbst zum Täter wird – ähnlich wie das in „Viva la Muerte“ anklingt. Der Titel verweist bereits auf die abschließende Metapher: In der letzten Einstellung scheinen sich die Protagonisten selbst in einer Kristallkugel zu befinden. Auch Villarongas „El Mar – das Meer“ (2001) berührt Tabus: Die tödliche menage à trois zweier Jungen und eines Mädchens erzählt von düsteren Begierden, Todessehnsucht und einem Kult des Blutes in einem frankistischen Lungensanatorium. Immer werden die Grenzen zwischen Realität und Traum fließend, doch anders als bei Buñuel wird man dessen eher schleichend gewahr.

Ende der 1990er-Jahre breitete sich eine sehr erfolgreiche Welle von Mystery-Thrillern in Spanien aus, die sich teilweise explizit mit einer stark stilisierten Schock-Ästhetik auseinander setzten. Jaume Balaguerós „The Nameless“ (1999) z.B. erzählt von einer Sekte, die nach totalem Verlust der Identität trachtet und die Qual verherrlicht. Die Versehrbarkeit des Körpers gerät erneut zum Medium, die Transzendenz zu erreichen. Fast alle Protagonisten in diesem Film müssen sterben. Alfonso Cuaróns antiutopisches Drama „Children of Men“ (2006), das von einer totalitären Gesellschaft berichtet, in der keine Kinder mehr geboren werden, knüpft an diese Filme und letztlich an Buñuels Erbe an, wenn er völlig unvermittelt seine Hauptdarsteller eines blutigen Todes sterben lässt. Gewalt und Schrecken sind in dieser Welt stets präsent und unberechenbar – eine Erfahrung, die möglicherweise aus dem eigenen Leben geschöpft ist. Immerhin war Spanien das europäische Land mit der langwierigsten rechten Diktatur. Auch Guillermo del Toros noch unvollendete Trilogie verdeutlicht dies: Mit seiner antifrankistischen Allegorie „Pans Labyrinth“ (2006) kehrt die Schockästhetik wieder zu jenem ursprünglichen Impuls zurück, der auch Buñuels frühe Filme beflügelte: mit erschütternden Bildern der Zerstörung des Körpers einen Schlussstrich zu setzen, ein Zeichen zu geben, das vom Beginn des Neuen kündet, vertrauend auf die heilsame Wirkung des Schocks.





Zitat:
Luis Bunuel. Essays, Daten, Dokumente
Hrsg. von der Deutschen Kinemathek. Redaktion: Gabriele Jatho. Verlag Bertz + Fischer, Berlin 2008, 184 Seiten, 120 Fotos. 22,90 EUR (während der „Berlinale“ 19,90 EUR).

Man greift bei Publikationen dieser Art gerne erst einmal zum nüchtern informativen Teil, zumal wenn wie im vorliegenden Fall mehr als die Hälfte des Textes der Filmografie und der Bibliografie gewidmet ist. Kann man, das ist dann die erste Frage, diese Dokumentation über den Tag hinaus als Handbuch und Nachschlagewerk nutzen? Man kann sogar sehr gut, weil die von Klaus Hoeppner erarbeitete Filmografie sehr detaillierte Angaben zu 32 Arbeiten von Luis Buñuel bietet. Hier erhält man Auskunft über die an der Produktion Beteiligten sowie die Ur- und Erstaufführungen, hier wird ersichtlich, mit welch auffallender Verspätung die Filme ins westdeutsche und mit noch weit größerer Verzögerung ins ostdeutsche Kino gelangten: Was die DDR betrifft, so kam lediglich ein Film Buñuels in den allgemeinen Spielplan, andere wurden auf dem Festival in Leipzig oder – mehr oder minder unter Ausschluss der Öffentlichkeit – im Kino des Staatlichen Filmarchivs der DDR selten genug gezeigt. Im westlichen Deutschland machten vornehmlich Institutionen mit dem Werk Buñuels bekannt, so der Verband der Deutschen Filmclubs, das Internationale Forum des Jungen Films der „Berlinale“, das Arsenal und das Münchner Filmmuseum. Sie alle waren Wegbereiter für Buñuel, dessen Gesamtwerk mit 32 Inszenierungen und weiteren Arbeiten, an denen er als Regieassistent, Autor oder Produzent beteiligt war, in der Retrospektive 2008 der Berliner Filmfestspiele zu sehen ist (Buñuels Todestag jährt sich in diesem Jahr zum 25. Mal). Lesenswert im zweiten Teil des Bandes sind die zeitgenössischen Kritiken, wobei die spanischen, französischen und mexikanischen Rezensionen erstmals in deutscher Sprache veröffentlicht werden. Diese Stimmen, die auch konträre Ansichten sowie Meinungen unterschiedlicher Zeiten zu Wort kommen lassen, ergeben gleichsam eine kommentierte Filmografie.

Die drei Essays sind Variationen, sich dem Werk Buñuels zu nähern, den Charakter seiner Arbeiten zu analysieren, wobei aus einzelnen Informationen auch die Biografie des Regisseurs verfolgbar wird. Gerhard Midding nutzt die Chronologie der Filme zu einer intensiven Darstellung der Motive und Themen, der Stilmittel und der Charaktere der Figuren. An Beispielen macht er Buñuels Bildsprache deutlich, wobei er versucht, nicht den falschen Fährten zu folgen, die Buñuel in seinen Auskünften oft legte. Das Eigenwillige und Widersprüchliche im Werk Buñuels wird lebendig. Den Umgang mit dem Œuvre macht Wolfgang Hamdorf an einem Beispiel erkennbar: An der Zensur von „Viridiana“ (es war nicht die einzige, von der Buñuel betroffen war). In Spanien verboten, in der Bundesrepublik Deutschland attackiert und gekürzt, auf diplomatischem Weg bedrängt, ergibt sich ein blamables Zeugnis von missachteter Liberalität. Der Bericht über Buñuel und seine Arbeiten wird zu einem Zeitspiegel, Dokument zwanghafter Kulturpolitik und ideologisch bedingter Intoleranz, die sich mitunter bis zu Hassausbrüchen steigert. Einen anderen Zugang findet Marion Löhndorf, die ihren Blick auf Buñuels Frauengestalten richtet, in denen sie ein Bild voller Widersprüche erkennt. Die Frauen sind für sie Opfer und Mitschuldige, Verführerinnen und Traumgestalten, wahrgenommen vornehmlich aus männlicher Sicht. So gleiten denn oft auch die Blicke auf Beine, Strümpfe, Schuhe. Poetische Visionen, meint Marion Löhndorf, gewinnen nicht selten bedrohlichen Charakter. Die Autorin widmet sich überzeugend der Interpretation der Schauplätze und der Darstellerinnen sowie der Motive und der Strukturen der Filme.

Einen Bürger, der sich gegen Bürger auflehnt, nennt Gabriele Jatho, die für die Redaktion verantwortlich zeichnet, Buñuel, einen, der gegen Unwissenheit und Aberglauben, gegen Konventionen und klerikale Fragwürdigkeiten kämpft, einen, der sich gegen jeglichen Dogmatismus wendet. Sie stellt die Frage, ob Buñuel Realist oder Surrealist sei, und beruft sich bei der Antwort auf den Regisseur, der behauptete, er erfinde keine Symbole, ihn interessierten in erster Linie Bilder. In Bildern werden in dem von Volker Noth gestalteten Band denn auch seine Filme lebendig: Neben vielen Szenenausschnitten begegnet man immer wieder großen Porträts: Buñuel – ein Mann mit kraftvollem Gesicht, mal bäuerlich wirkend, mal skeptisch distanziert blickend, stets wach und kritisch beobachtend. Man versucht, in dem Gesicht zu lesen – ist es Kraft und Empörung, ist es Sarkasmus, ist es Mitleid, was man zu erkennen glaubt? Widersprüche wie in den Filmen auch hier.
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Der Mann mit dem Plan
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BeitragVerfasst am: 31 Jan 2008 14:05    Titel: Antworten mit Zitat

Ich werd mal zusehen, dass ich mir die mir fehlenden Bunuels auf der Berlinale nachhole... Cool
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4LOM
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BeitragVerfasst am: 31 Jan 2008 19:36    Titel: Antworten mit Zitat

Der Mann mit dem Plan hat folgendes geschrieben:
Ich werd mal zusehen, dass ich mir die mir fehlenden Bunuels auf der Berlinale nachhole... Cool

Grrrrrrrrrrr!!!

Wink
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Dr. Strangelove



Anmeldungsdatum: 02.08.2005
Beiträge: 1806

BeitragVerfasst am: 01 Feb 2008 07:57    Titel: Antworten mit Zitat

Der Mann mit dem Plan hat folgendes geschrieben:
Ich werd mal zusehen, dass ich mir die mir fehlenden Bunuels auf der Berlinale nachhole... Cool

Ich werde auch dort sein. Bunuel ist immer eine Reise wert!
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"Un artiste est toujours jeune" Jean-Marie Straub
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Der Mann mit dem Plan
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BeitragVerfasst am: 01 Feb 2008 17:18    Titel: Antworten mit Zitat

Dr. Strangelove hat folgendes geschrieben:
Der Mann mit dem Plan hat folgendes geschrieben:
Ich werd mal zusehen, dass ich mir die mir fehlenden Bunuels auf der Berlinale nachhole... Cool

Ich werde auch dort sein. Bunuel ist immer eine Reise wert!


Full-time?
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Neophyte
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BeitragVerfasst am: 01 Feb 2008 18:05    Titel: Antworten mit Zitat

Mein Urlaub klappt... Ich bin auch da. Können wir da eventuell ein äußerst kurzfristig angesetztes Usertreffen realisieren? Wink

@ Plan: Wieviele fehlen dir denn noch? Mir fehlt noch ein ganzes Dutzend Sad

@ 4: Wirst du da sein? Smile
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Der Mann mit dem Plan
Gast





BeitragVerfasst am: 01 Feb 2008 19:04    Titel: Antworten mit Zitat

Neophyte hat folgendes geschrieben:

@ Plan: Wieviele fehlen dir denn noch? Mir fehlt noch ein ganzes Dutzend Sad


Zwei. Wobei ich einen davon schon mal ohne verständliche Untertitel gesehen habe.

Ich werde die gesamte Festivaldauer anwesend sein und die meiste Zeit in den Kinos hocken. Aber zwischendurch kann man sich gerne mal treffen.
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Neophyte
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BeitragVerfasst am: 01 Feb 2008 19:16    Titel: Antworten mit Zitat

Welche 2 denn? Dann kommste ja eigentlich noch am billigsten weg, wenn du nur die fehlenden guckst... aber bei Bunuel wäre das Blasphemie. Smile
Wahrscheinlich werde ich aber blasphemisch, da ich wohl nicht alle gucken kann... muss ich mal mit dem Dr. besprechen.


Zuletzt bearbeitet von Neophyte am 01 Feb 2008 19:18, insgesamt einmal bearbeitet
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Sebastian



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BeitragVerfasst am: 01 Feb 2008 19:17    Titel: Antworten mit Zitat

will auch... hmm, mal schaun...
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Neophyte
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BeitragVerfasst am: 01 Feb 2008 19:19    Titel: Antworten mit Zitat

Spring ins Auto oder in den Zug, und pflanz dich neben uns. Nach jedem der Filme wird es dann wohl DVDuellistisches Standing Ovation geben Very Happy
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Der Mann mit dem Plan
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BeitragVerfasst am: 01 Feb 2008 19:23    Titel: Antworten mit Zitat

Neophyte hat folgendes geschrieben:
Welche 2 denn? Dann kommste ja eigentlich noch am billigsten weg, wenn du nur die fehlenden guckst... aber bei Bunuel wäre das Blasphemie. Smile
Wahrscheinlich werde ich aber blasphemisch, da ich wohl nicht alle gucken kann... muss ich mal mit dem Dr. besprechen.


Ich komm sowieso billig weg, bin akkreditierter Fachbesucher. Cool

Definitiv werd ich mir ansehen: MORGENRÖTE und DER FLUSS UND DER TOD. Den Rest gehe ich entspannt an, falls sich ein Bunuelklassiker zwischen zwei anderen, geplanten Vorstellungen einschieben lässt: immer gern. Wenn nicht, wumbo. Die laufen hier mit kurzer Verspätung in Hamburg im Kommunalen Kino.
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Neophyte
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BeitragVerfasst am: 01 Feb 2008 19:25    Titel: Antworten mit Zitat

Der Mann mit dem Plan hat folgendes geschrieben:
Neophyte hat folgendes geschrieben:
Welche 2 denn? Dann kommste ja eigentlich noch am billigsten weg, wenn du nur die fehlenden guckst... aber bei Bunuel wäre das Blasphemie. Smile
Wahrscheinlich werde ich aber blasphemisch, da ich wohl nicht alle gucken kann... muss ich mal mit dem Dr. besprechen.


Ich komm sowieso billig weg, bin akkreditierter Fachbesucher. Cool

Definitiv werd ich mir ansehen: MORGENRÖTE und DER FLUSS UND DER TOD. Den Rest gehe ich entspannt an, falls sich ein Bunuelklassiker zwischen zwei anderen, geplanten Vorstellungen einschieben lässt: immer gern. Wenn nicht, wumbo. Die laufen hier mit kurzer Verspätung in Hamburg im Kommunalen Kino.


So So, Presseausweis? Tja, den "DER FLUSS UND DER TOD" suche ich auch schon lange.
Und zum Rest: Ich wohne in der falschen Gegend, gar keine Frage. Mad
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Der Mann mit dem Plan
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BeitragVerfasst am: 01 Feb 2008 19:29    Titel: Antworten mit Zitat

Neophyte hat folgendes geschrieben:


So So, Presseausweis?


Nee, Fachbesucher.
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4LOM
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BeitragVerfasst am: 01 Feb 2008 23:24    Titel: Antworten mit Zitat

Neophyte hat folgendes geschrieben:
@ 4: Wirst du da sein? Smile

Nee, leider nicht. Ein baldiger Berlin-Besuch ist zwar angesetzt, aber ich bezweifle, daß ich es überhaupt im Februar schaffe. Wird eher März. Ich hatte meiner Bekannten aber auch schon geschrieben, daß ich nicht während der Berlinale kommen sollte, da sie mich sonst wohl nicht zu Gesicht bekommen würde.
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Neophyte
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BeitragVerfasst am: 02 Feb 2008 19:46    Titel: Antworten mit Zitat

Schade. Naja, vielleicht klappt es ja wirklich bei den anderen die sich hier diesbezüglich schon geäußert haben...
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Dr. Strangelove



Anmeldungsdatum: 02.08.2005
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BeitragVerfasst am: 06 Feb 2008 17:38    Titel: Antworten mit Zitat

Der Mann mit dem Plan hat folgendes geschrieben:
Dr. Strangelove hat folgendes geschrieben:
Der Mann mit dem Plan hat folgendes geschrieben:
Ich werd mal zusehen, dass ich mir die mir fehlenden Bunuels auf der Berlinale nachhole... Cool

Ich werde auch dort sein. Bunuel ist immer eine Reise wert!

Full-time?

Nein nur zwei Tage. Genauer gesagt nächsten Mittwoch und Donnerstag, vom 13.–14.02. Der Neo ist auch da, wie ich mittlerweile aus sicheren Quellen erfahren habe Wink
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4LOM
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BeitragVerfasst am: 07 Feb 2008 13:44    Titel: Antworten mit Zitat

taz 07.02.08
Zitat:
Der Jahrhundertmann
Surrealismus, Kommunismus, Flucht, neue Medien, Kulturindustrie - Luis Buñuel hatte mit allen wichtigen Bewegungen des 20. Jahrhunderts zu tun. Die Berlinale widmet ihm die Retrospektive

VON DIEDRICH DIEDERICHSEN

Als ich klein war, gab es in der TV-Zeitschrift, die bei uns herumlag, eine der damals schon verbreiteten Debatten über zu viel Gewalt im Fernsehen. Illustriert wurde der Beitrag, der befand, dass unsere Kinder so was nicht sehen sollen und den sich unsere Kinder deswegen natürlich besonders genau ansahen, von einer Leiche in einer Badewanne, deren Gesicht sich gerade auflöste. So ein Bild vergisst man nicht, zumal die Bildunterschrift von einem Verbrecher sprach, der diese Frau gerade in Salzsäure gelegt hatte. Sich in der Badewanne langsam zersetzende Körper. Geil.

Zirka fünfzehn Jahre später sah ich die Szene dann im Laufbild. Es handelte sich nicht um einen Verbrecher. Der Mann stand im Mittelpunkt einer psychologischen Groteske: "Das verbrecherische Leben des Archibaldo de la Cruz", wie der Film auf Deutsch hieß, den Luis Buñuel in Mexiko 1955 gedreht hat, spielte ausschließlich in dessen Kopf, genau wie das verbrecherische Leben kleiner Kinder. Doch bei aller perlenden Leichtigkeit, mit der sich die Farce entfaltet, bleibt doch ein moralisches Motiv zurück. Die Geschichte vom Mord, den jeder begeht, das berühmte dünne Eis, auf dem eine alltägliche, angepasste Persönlichkeit die Pirouetten ihrer Normalität dreht.

Der alte Buñuel gab sich dagegen gern als moralfreier Martini-Kenner. Unfassbar trocken mussten sie sein. In den Jahren vor seinem Tod 1983, als die Erste Welt sich der gepflegten Bar zu erinnern begann und die während der Kulturrevolution vergessenen Umgangsformen rekonstruieren wollte, lag er damit genau richtig. Man liebte seinen herben Humor und seine antiideologische Abgeklärtheit. Seine Autobiografie "Mein letzter Seufzer" schaffte es in ihrer auf das Nötigste kondensierten Eleganz auf die Coffee Tables urbaner Aufsteiger. Ihr Ton war knapp und unaufgeregt und dabei aufrichtig. Andere knittrig coole alte Männer wie William S. Burroughs wirkten daneben wie aufgekratzte Dreizehnjährige.

Doch so ist Buñuel nicht immer gewesen. Seine Geschichte lässt sich ohne Leidenschaft und Engagement nicht vorstellen. Buñuel war bei jeder wichtigen Bewegung, bei fast allen zentralen Konstellationen des 20. Jahrhunderts beteiligt, in der Politik, in der Kunst, bei der Erforschung der neuen Medien und der Kulturindustrie. Und er stand nicht nur an der Bar und schaute zu. Seine engsten Freunde in den prägenden Jahren in Madrid waren die beiden zentralen Figuren der spanischen Kultur vor dem Bürgerkrieg, das immer wieder verhinderte Liebespaar Salvador Dalí und Federico García Lorca. Die drei trennten sich nie, erinnert sich Buñuel. Aber er war auch mit allen anderen befreundet, die in den letzten Jahren vor der Ausrufung der Zweiten Spanischen Republik in der Hauptstadt Hof hielten. Er kannte die Helden der älteren Generation, Ortega y Gasset, Valle-Inclán und Unamuno, sogar den schon sehr alten "spanischen Flaubert" Benito Pérez Galdós, dessen Werk er später mehrfach verfilmte. Und er hing mit den wichtigsten Altersgenossen ab, von Rafael Alberti, dem linkssurrealistischen Lyriker, der nach dem Exil noch mal kommunistischer Politiker in der Dritten Republik wurde, bis zu Pepin Bello, dem charmanten boy about town, der vor ein paar Tagen über hundertjährig gestorben ist.

Beim Kino landete er, wie nach ihm noch so mancher große Auteur, durch das Verfassen von Filmkritiken. Er wollte, mittlerweile zu Studienzwecken in Paris, umsonst ins Kino. Die Technik schaffte er sich durch subalterne Jobs bei Jean Epstein drauf, einem unterbewerteten Meister des frühen französischen Kinos, dem sich die Buñuel-Retro mit einer eigenen Veranstaltung widmet. Buñuel spielt dessen Einflüsse indes herunter. Der Chef überwarf sich jedenfalls mit ihm und warnte ihn vor surrealistischen Neigungen. Kurz darauf, 1929/30, drehte Buñuel - teilweise in umstrittener Koautorschaft mit Salvador Dalí - die beiden Filme, die als die beispielhaften Dokumente eines surrealistischen Kinos gelten: "Un chien andalou" und "LÂge dor".

Das Jahrhundertwort "surreal" ist heute ein Allgemeinplatz der Kritikersprache und des Rezipientensmalltalk. Anlässlich von Sciencefiction-, Fantasy- und Gothic-Filmen ist damit fast immer die Inszenierung und Feier ungewöhnlicher, nicht realer Räume gemeint. Die Illusion, etwas als wirklich zu erleben, das nicht wirklich ist. Und tatsächlich beginnt auch "Un chien andalou" mit einem Trick, der eine Illusion erzeugt: eine Hand hält einer Frau das Auge auf und zerschneidet es mit einem Rasiermesser. Im Gegensatz zum Surrealismus labyrinthartiger Sets und irritierender Plansequenzen ergibt sich diese Illusion aber ganz aus der linearen Abfolge der Bilder. Die Ur-Formulierung des surrealistischen Schocks, seiner programmatischen Konfrontation des Unvereinbaren, lautet bei Lautréamont "Begegnung eines Regenschirms mit einer Nähmaschine auf einem Seziertisch".

Sie lässt sich als allegorische Vorwegnahme des Prinzips der Montage im Film verstehen. Der im Laufe des Jahrhunderts daher immer mal wieder geäußerte Gedanke, dass Film an sich die surrealistische Kunst sei, wurde von Buñuel und Dalí zum ersten Mal programmatisch gemacht. Aber Buñuel war Eisenstein-Fan genug, um dieses prinzipiell surrealistische Moment der passend gemachten Begegnung des Nichtpassenden in der Montage zu suchen, nicht in einer Geisterbahn-Ästhetik.

Der französische Surrealismus, in dessen Umfeld der junge Regisseur verkehrte, war damals eine linke Bewegung, die sich auch immer wieder, meist vergeblich, der Partei andiente. Die erwartete etwas anderes von ihren Künstlern, man nannte es Realismus. Buñuel stand zwar der Partei nicht sehr nahe, aber ein anarchistischer Freund finanzierte ihm einen Dokumentarfilm, der ein realistisches Bild eines der ärmsten Gegenden Europas zeichnen sollte: "Las Hurdes" in der Region Extremadura. Der kurze, eindringliche Film, den Buñuel dort dreht, ist so drastisch nahe an seinem Gegenstand, dass er den Gegensatz von Realismus und Surrealismus mit Schmackes dekonstruiert. Inmitten getreuer dokumentarischer Bilder einer unfassbaren Wirklichkeit verselbständigt sich deren Kraft. Aus symptomatischen Elendsgesichtern werden eigenständige, aber groteske Menschen. Aus Anklage wird Voyeurismus. Heiseres Lachen setzt ein. Schnappt dann zurück in Entsetzen.

Wenn sich die Welt zu sehr einer Deutung fügen soll, wehrt sie sich, indem sie ins Groteske kippt. Buñuel, davon spricht Wolfgang Martin Hamdorf im Katalog, war von den Esperpentos des Ramón del Valle-Inclán beeinflusst, einem Genre zugespitzter antibürgerlicher Spottstücke. Doch Valle-Inclán war eine Art Dandy, wenn auch in einer für Spanien typisch abweichenden Ausprägung, wo der Adel nie revolutionär gestürzt wurde, sondern langsam verarmte und zugrunde ging. Seine antibürgerliche Aggression war zugleich Ausdruck einer Nostalgie für alte legitime feudale Verhältnisse und revolutionärer Begeisterung, die für Lenin schwärmte. Auch Buñuel attackierte bürgerliche Sinnstiftung von allen Seiten. Wenn sich eine Geschichte zu sehr beruhigte, spazierte eines seiner berühmten psychedelischen Hühner sinnlos durchs Bild und glotzte fremd. In seinem vorletzten Film fordert eine Bande Flamingos "Nieder mit der Freiheit!" Das richtet sich, so darf man vermuten, gegen die faschistischen Feinde der Freiheit genauso, wie es der weisen Beklopptheit der kleinköpfigen Tiere den Vorzug gegenüber einer entleerten Vokabel gibt.

Dennoch haben die Leute "Las Hurdes" richtig verstanden, das heißt seinen linken Impuls. Die Falangisten ermordeten den Geldgeber und setzten den Regisseur auf eine Todesliste. Der wirkte noch eine Weile beim Aufbau der spanischen Filmindustrie in verschiedenen Funktionen mit, beteiligte sich an einem Propagandafilm für die Republik und setzte sich dann in die USA ab. Seinen Job in der Bibliothek des Museum of Modern Art verlor er, nachdem ihn sein alter Kumpel Salvador als Kommunist denunziert hatte. Buñuel ging nach Mexiko.

So wurde er der erste Auteur aus einem so genannten Schwellenland. Während der 15 Jahre, die er ausschließlich in Mexiko arbeitete, probierte er alles aus, was mit dieser Filmindustrie möglich war. Mal war da Geld aus Europa, mal aus Hollywood, und dann wieder mussten Telenovela-artige Stoffe verfilmt werden, die plötzlich durch einen seiner abgründigen Einfälle gewürzt wurden. Etwa die sich selbständig machende Hand. Sie kommt schon im "Andalusischen Hund" vor, in "The Beast With Five Fingers" von Robert Florry, an dem er mitgearbeitet hat, dann im "Würgeengel" von 1962 und in einer Kurzgeschichte aus den 40er-Jahren. Vor kurzem hat sich "Shaun, das Schaf" den Einfall ausgeborgt.

Viele mexikanische Filme sind one of a kind geblieben, probierten Genres aus, die nie serienfähig wurden. "Los Olvidados", wohl der erste Film über Jugendgangs und Ghettos, zugleich einer der Meilensteine des Neorealismus, überschreitet das italienische Genre zu staubiger, sinnloser Bosheit und drastisch katholischer Sexualität. "La ilusión viaja en tranvía" ist das zu Recht detailverliebte Porträt des Straßenlebens von Mexico City in den 50ern. "Èl", Buñuels persönlicher Lieblingsfilm, war eine gefloppte Studie über Maskulinismus, die sehr lange in Jacques Lacan ihren einzigen Fan hatte. Und "La muerte en este jardín" ist ein in den meisten Kopien um circa 40 Minuten gekürztes halluzinogenes Dschungel-Verirr-Drama, das man alleine schon wegen Simone Signoret gesehen haben sollte.

Obwohl die mexikanischen Filme Buñuels oft genug rehabilitiert wurden, hat sein europäisches Spätwerk seinen Ruhm geprägt. Einerseits seine Frauenfiguren, andererseits eine Rückkehr zu seiner surrealistischen Trademark stehen in dessen Mittelpunkt. Buñuel hat den sprichwörtlichen männlichen Blick der Kamera nie versteckt. Im grellen Licht von dessen oft übertriebener Inszenierung wird aber nicht nur dessen Funktion im konventionellen Erzählkino deutlich, sondern Frauen im Fadenkreuz des Blickes übernehmen die Handlung: Jeanne Moreau im "Tagebuch einer Kammerzofe", Catherine Deneuve in "Belle de jour" und "Tristana", Silvia Pinal als "Viridiana", als "Walküre" im "Würgeengel" und als Teufel in "Simon del desierto" überschreiten das Mögliche des Kinos der 60er in doppelter Weise. Die Frauen übernehmen nicht einfach die Funktion des handelnden männlichen Helden. Sie werden oft noch greller filmisch so konstruiert wie in anderen Filmen, um dann aber aus dieser Position zu handeln und ein Innenleben zu entwickeln. Sie steigen aus dem Salzsäurebad und sprechen. In seinem letzten Film, "Das obskure Objekt der Begierde" wählt Buñuel dafür eine besonders pointierte Formel. Er lässt die vom begehrenden männlichen Blick objektivierte Frau durchweg von zwei verschiedenen Darstellerinnen spielen. Carole Bouquet und Angela Molina sehen sich nicht ähnlich und sprechen nicht mal dieselbe Sprache.
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