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Deutschland '09 - 13 kurze Filme zur Lage der Nation

 
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Tom
Gast





BeitragVerfasst am: 23 März 2009 21:16    Titel: Deutschland '09 - 13 kurze Filme zur Lage der Nation Antworten mit Zitat

Mit folgenden Regisseuren:

Fatih Akin, Wolfgang Becker, Sylke Enders, Dominik Graf, Christoph Hochhäusler, Romuald Karmakar, Nicolette Krebitz, Dani Levy, Angela Schanelec, Hans Steinbichler, Isabelle Stever, Tom Tykwer und Hans Weingartner


Gestern abend wurde der Film in München vorab gezeigt in Anwesenheit von Dominik Graf, Sylke Enders und Hans Steinbichler. Ich lerne zwar momentan immer bis spät aber das wollte ich dann doch sehen:

Was soll ich sagen. Wenn Herr Reich-Ranicki schon nicht mehr fernsieht, dann wird er angesichts dieses Films vielleicht auch zukünftig nicht mehr ins Kino gehen. Es ist schon durchaus beachtlich dass man 13 teilweise fähige Filmemacher zu einem Projekt zusammenbringen und auf ein derart niedriges Niveau einstellen kann dass man nur noch staunend im Sessel sitzt. Man hat sich gestern abend gerne mit "Deutschland im Herbst" verglichen zu dem diese Kurzfilmsammlung als reaktionäres Gegenstück gelten darf. Politisch vollkommen unbrauchbar bis ärgerlich, die Konzepte banal bis peinlich und wer dachte, die "Du bist Deutschland" Kampagne sei primitiv, der hat noch nicht Wolfgang Beckers Reflexion darüber gesehen.

Fatih Akin beweist Unfähigkeit bei der Auswahl seiner Schauspieler und schafft es, dass einen selbst ein unschuldiges Guantanamo-Opfer kalt lässt
Sylke Enders reflektiert über soziale Ungerechtigkeit und Vorurteile auf Soap-Niveau
Hans Weingartner meint es zwar mal wieder gut, dreht aber mal wieder einen linken Film für 15jährige mit Che Guevara T-Shirt
Dominik Graf hat anscheinend nichts wirklich wichtiges zur Lage der Nation zu sagen
Dani Levy macht da weiter, wo der Führer komödiantisch aufgehört hat...ganz unten
Christoph Hochhäusler hat oft Solaris gesehen und fand den gut...heißt aber nicht Tarkovsky
Nicolette Krebitz hat mal Bande á part gesehen und fand den gut und dachte sich, wenn ich schon so überhaupt gar nix kann, dann dreh ich da halt ne Szene nach...kann witzig sein. Wars aber nicht.
Wolfgang Becker scheißt offensichtlich nach kranial
Angela Schanelec hat auch mitgemacht...
Tom Tykwer hat Geld
Hans Steinbichler hat Talent und Humor und Sepp Bierbichler und es hätte trotzdem noch mehr daraus werden können wenn er auch zu den 3 guten Beiträgen zählt
Isabelle Stever hat im Gegensatz zum Rest kapiert, was man hier tun kann und nutzt das auch.

...tja und Romuald Karmakar... da saß ich also im Kino und dachte mir nach jedem Beitrag es kann nicht schlimmer kommen und jedesmal kam es schlimmer und dann kommt der Romuald und fegt mal wieder alles beiseite indem er die Kamera erneut dort aufstellt wo man sonst nicht so gerne hinschaut, indem er sagen lässt was man sonst nicht so gerne hört, indem er das Publikum vor Tatsachen stellt wo andere das Budget für bunte Kulissen verschleudern. Der Mann gehört zum allerbesten und interessantesten was das europäische Gegenwartskino zu bieten hat. Symptomatisch dass sich niemand seine Filme ansieht.

Also lange Rede kurzer Sinn: ein sinnloser, überflüssiger Film mit 2 Lichtblicken, die man gern für sich stehend gesehen hätte und einem riesen Haufen Scheiße....moment, da fällt mir auf....da hat er das Konzept ja doch würdig umgesetzt.
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cinéphile
Gast





BeitragVerfasst am: 24 März 2009 15:11    Titel: Re: Deutschland '09 - 13 kurze Filme zur Lage der Nation Antworten mit Zitat

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Zuletzt bearbeitet von cinéphile am 06 Apr 2012 08:53, insgesamt einmal bearbeitet
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helmi



Anmeldungsdatum: 10.03.2005
Beiträge: 2820
Wohnort: Hall of the incredible macro Knight

BeitragVerfasst am: 26 März 2009 15:09    Titel: Antworten mit Zitat

Rüdiger Suchsland vom FD hat er gefallen:

Deutschland 09 kritiken / kino

[ zurück ]


Emotional – ein Wort, das ganz oben ansteht in der deutschen Kultur der letzten 20 Jahre, ganz oben in der Politik, im Film, in der Wirtschaft, in der Werbung. Wir müssen immer alle die Menschen ,emotional mitnehmen‘ … seit den Nazis hat das niemand mehr so betont wie die Deutschen seit der Wiedervereinigung… Vielleicht ist diese seltsame Emotionalität der Architekten, der Funktionäre, der Politiker, vielleicht ist all dieses Gefühl nur der Deckmantel, hinter dem die wahre Geschichte entsorgt wird?“ Diese aus dem Off gesprochene Frage bringt vieles auf den Punkt und richtet sich, in seinen schwächeren Momenten, auch gegen den Kurzfilm selbst. Sie stammt aus einem der besten der 13 Beiträge zu „Deutschland 09“, aus Dominik Grafs Reise durch die Architekturlandschaft. Graf findet in den sinnlichen Gewissheiten des ganz Konkreten schnell das Allgemeine, und so wird aus seiner Dokumentation des Verschwindens der Nachkriegsarchitektur eine Reflexion über den Umgang mit Gefühlen und Geschichte, um deren mögliche Politisierung und grassierende Entpolitisierung. Darum drehen sich nahezu alle dieser zu Spielfilmlänge zusammengefassten Kurzfilme.


Es ist ein Projekt, das in seinen Fragen interessanter ist als in seinen Antworten. Wo „Deutschland 09“ am besten gelingt, verzichtet der Film ganz auf Entschiedenheit, bietet stattdessen Material und Kommentare, Thesen nur probeweise. Darin erinnert er an die Stücke Heiner Müllers oder die Romane von Rainald Goetz; und darin ist er auch treffendes Symptom einer Zeit, die sich offenbar schwer tut, eigene Positionen zu entwickeln, und in der die letzten ernst zu nehmenden Intellektuellen meist über 60 Jahre alt sind. Dass der Film den Mut zu solcher Zeitgenossenschaft hat, dass er Momentaufnahme sein will, beiläufig und nicht ewig, viel weniger staatstragend als der fehlleitende Untertitel „13 kurze Filme zur Lage der Nation“ suggeriert, dass er das Flirrende, Offene des Kinos nur selten ans Pathos des Grundsätzlichen verrät, das ist eine der größten Qualitäten dieses Films, die ihm seinen Rang sichern wird.


Am Anfang steht eine faszinierende und verführerische Ausgangsidee: Was würde geschehen, wenn sich heute Regisseure zu einem gemeinsamen Film zusammenfänden, wie zu „Deutschland im Herbst“ (fd 20 705), Alexander Kluges legendärem Kollektivfilm. Dessen Wiederauflage liegt keineswegs nahe, denn Gegner und Krisensymptomatik sind zumindest diffuser geworden; zudem fehlt eine gemeinsame ästhetische oder politische Position, wie sie die Filmemacher im Jahr 1977 noch einte – was dieser Film mitunter schmerzhaft belegt. Letzteres ist freilich auch eine Frage der Auswahl; neben dem Verzicht auf eine die Episoden verknüpfende Klammer ist es die größte Schwäche von „Deutschland 09“, dass sich die Produzenten Tom Tykwer und Dirk Wilutzky nicht zu einer homogeneren Auswahl entschlossen. Was nicht allein eine Stilfrage ist, sondern zur Frage der Qualität wird; zumal es umgekehrt auch nicht darum ging, alles und jeden gleichberechtigt zu repräsentieren: Weder Michael „Bully“ Herbig noch Doris Dörrie noch ein Markus H. Rosenmüller sind dabei. Der lokale wie stilistische Schwerpunkt liegt in Berlin.


Was sich in dem Film artikuliert, ist ein Lebensgefühl, geprägt von Unbehagen und einer diffusen Ahnung, dass die Zustände so, wie sie sind, nicht bleiben können und auch nicht sollen – man konstatiert sogar Symptome einer schleichenden Diktatur. Der Film ist aber auch geprägt von der Suche, wie man darauf antworten und was man dem entgegensetzen könnte, und von dem eher unter der Oberfläche liegenden, aber dennoch ausgeprägten Bewusstsein, dass die eigenen, vorläufigen Antworten nicht genügen. Das ist die Lage. Wie nun die 13 Filmemacher auf sie reagieren, ist individuell verschieden. Die meisten reagieren zögernd, tastend, mit einem Befund vielleicht, einer Bestandsaufnahme. Nur manche bieten eine Art Antwort, wobei gerade diese Filme nicht die besten sind: Fatih Akin hat sich in seiner Methode bei Karmakars jüngsten Dokumentationen bedient und ein öffentliches Dokument, ein Interview mit dem Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz, mit minimalistisch agierenden Darstellern nachinszeniert. Nur hat er dabei, von den hölzern agierenden Darstellern einmal abgesehen, im Gegensatz zu Karmakar den ohnehin redigierten Text nochmals gekürzt und massiv bearbeitet, weshalb ausgerechnet ein Film, der Kurnaz eine Stimme geben möchte, sein Wort noch einmal beschneidet. Das ist mehr als ein Denkfehler.


Ein Debakel ist Wolfgang Beckers krakelende Groteske, in der Deutschland zu einem schmuddeligen Krankenhaus verdichtet wird und Patienten von „Doktor Rot“ und „Doktor Schwarz“ nach „Sozialinfarkt“ mit „10 Milligramm Sozialadrenalin“ behandelt werden – kein einziger der schlechten Witze dieses undisziplinierten, mit maßlosem Aufwand inszenierten Unsinns zündet. Eher banal bleiben Sylke Enders’ sozialkitschiger Einblick ins „Hartz IV“-Milieu, der auf genaue Beobachtung zu Gunsten billiger Medienschelte verzichtet, und Tom Tykwers parallele Studie über die Leiden der Reichen, die stets in sauberen Luxushotels schlafen und in der Business Class fliegen müssen, und dort – hört, hört – auch nicht glücklicher sind. Beide Filme sind immerhin präzise Dokumente der Wahrnehmungsstörung ihrer Macher, die nur sehen, was sie schon vorher gewusst haben. Bei Hans Weingartners „Gefährder“ fragt man sich hingegen, warum der Regisseur nicht merkt, dass er seine unbestritten engagierte und relevante Anklage des bundesdeutschen Überwachungsstaates selbst schwächt und banalisiert, wenn er den realen Fall des zu Unrecht verhafteten Andrej Holm im Stil einer glatten Fernseh-Soap inszeniert. Offenkundig hat Weingartner Angst vor Brüchigem und Doppelsinn – als ob er seiner eigenen Position nicht traut und überdeutlich wird, aus Furcht, missverstanden zu werden.


Auf seine Art herausfordernd ist Hans Steinbichlers Beitrag „Fraktur“. Der zeigt einen Mann, der kaum zufällig am Obersalzberg wohnt, in einem ausgebauten Bauernhof zwischen Hirschgeweihen und Designermöbeln, und auf die Veränderung des Designs seinerTageszeitung damit reagiert, dass er die Auflage aufkauft, verbrennt und die Chefredaktion per Genickschuss hinrichtet. Man möchte zu Steinbichlers Gunsten hoffen und vermuten, dass an all dem nichts unironisch gemeint ist, aber man muss zugeben, dass der Film seine Ironie-Signale derart versteckt, dass alles auch als ein Plädoyer fürs Verbrennen und Erschießen von Missliebigem verstanden werden kann.


Umgekehrt hat „Deutschland 09“ aber auch einiges zu bieten: Neben Grafs Architekturreflexion, einem melancholischen Klagelied in warmem Technicolor, sind insbesondere die Filme von Nicolette Krebitz, Romuald Karmakar und Christoph Hochhäusler zu nennen. Krebitz’ Beitrag verbindet viel mit dem fantastischen Essayismus Alexander Kluges, der seinerzeit eine Lehrerin „nach der deutschen Geschichte grabend“ zeigte. Krebitz vereint Ulrike Meinhof und Susan Sontag in einem imaginären Dialog mit einer jungen Frau aus der Gegenwart – eine ebenso komplexe wie verspielte, anti-naturalistische Montage aus Originaltexten, die von einer flirrend-heiteren Leichtigkeit geprägt sind und zugleich Konturen einer spezifisch weiblichen Filmsprache erkennen lassen. So einen Film könnte kein Mann drehen. Und Karmakars „Ramses“ keine Frau: Er stellt den Besitzer eines Westberliner Bordells vor, zeigt ein Deutschland, das viele nicht kennen – ein Film als Museum der 1980er-Jahre, das voller Poesie unangenehme Wahrheiten zeigt. Schließlich Hochhäusler: Mit den Stilmitteln des legendären Kino-Essayisten Chris Marker erzählt er unangestrengt und gelassen ein Science-Fiction-Märchen über Gedächtnisverlust, irgendwo zwischen „2001“ und „Peterchens Mondfahrt“. Hier verliert Deutschland plötzlich alles Schwermütige, wird zu einer schönen Utopie des besseren Lebens – der prächtige Abschluss einer anregenden intellektuellen Achterbahnfahrt.


Am interessantesten ist dieses Filmexperiment aber in seiner Gesamtheit. Da ist er überaus repräsentativ: In der stilistischen Unentschiedenheit, in der Furcht seiner Macher vor dem Grundsätzlichen, der Scheu vor politischem wie ästhetischem Streit, vor Statements und Thesen, davor, sich vielleicht auch auf eine Art Lagebefund zu einigen, wie vorläufig auch immer. So wird der Film zur Selbstbeschreibung einer Generation zwischen Mitte 30 und Ende 40 – Graf und Becker sind die Ausnahmen –, die sich angesichts ihrer Politikmüdigkeit gern ins Private zurückzieht und die Fähigkeit zur Gestaltung der Öffentlichkeit verloren hat; die sich gestalten lässt – aber genau diese Lage präzis reflektiert, sich nach Intensität und Inspiration sehnt. „Deutschland 09“ ist ein Film über diese Sehnsucht. Man wünscht ihm Ruhe zur Reflexion und ein Publikum, das sich nicht zum schnellen Urteil hinreißen, sondern die Beiträge wirken lässt. Die Utopie, die der Film repräsentiert, liegt in seiner Entstehungsform als Kollektivprojekt, die eben auch die Hoffnung artikuliert, dass das Kino ganz anders sein könnte, als es heute ist. Dieser Film ist immerhin ein erster Schritt.

gruss

helmut
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Der Mensch lässt sich grob in zwei Gruppen einteilen: in Katzenliebhaber und in vom Leben benachteiligte.

Francesco Terarca
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cinéphile
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BeitragVerfasst am: 26 März 2009 15:28    Titel: Antworten mit Zitat

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Zuletzt bearbeitet von cinéphile am 06 Apr 2012 08:53, insgesamt einmal bearbeitet
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helmi



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BeitragVerfasst am: 27 März 2009 12:56    Titel: Antworten mit Zitat

Ingo hat folgendes geschrieben:
Rüdiger Suchsland hat folgendes geschrieben:

Dieser Film ist immerhin ...


... sehenswert.


Mr. Green


warum auch nicht? wenn er Rüdiger gefallen hat und er den film als sehenswert empfindet?

gruss

helmut
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Francesco Terarca
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Tom
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BeitragVerfasst am: 28 März 2009 16:50    Titel: Antworten mit Zitat

Schön dass es mein Liebling Ekkehard Knörrer mal wieder ähnlich sieht:

Deutschland im Ernst: Der Sammelfilm des aktuellen deutschen Filmbetriebs zur Lage der Nation ist ein gemischtes Vergnügen, außer im Bordell



"Gemischtes Vergnügen", nicht Omnibus-Film, sollte von Rechts wegen die Genre-Bezeichnung lauten. Hier, jetzt, als Wettbewerbsbeitrag, aber außer Konkurrenz: "Deutschland 09", Großversammlung des deutschen Filmbetriebs; dahinter als spiritus rector der große Vorsitzende Tom Tykwer. Die Idee: 13 RegisseurInnen bringen in 13 Filmen deutsche Gegenwart auf die Leinwand. Das Ergebnis fällt verdammt unterschiedlich aus. Nicht einmal so sehr in der, sagen wir es so verschnarcht, wie es denn auch ist: Grundbefindlichkeit. Gesellschaftskritik, im Zweifel von links, wird fast durchweg geübt, mal ernsthaft, mal komisch, in aller Regel aber doch: eher schlicht im Gemüt.



Das Hochnotpeinliche kommt in die Klammer, es soll nur kurz beim Namen genannt sein. (Nicolette Krebitz, die Sandra Hüller als Ulrike Meinhof, Jasmin Tabatabai als Susan Sontag und Helene Hegemann als Helene Hegemann völlig sinnloserweise als Unvollendete aufeinandertreffen lässt; Sylke Enders, die uns mit kitchen-sink-Blödsinn der dämlichen Art kommt; Wolfgang Becker, der sich, was schrecklich daneben geht, an Gegenwarts-Satire versucht). In die nächste Klammer kommt das eher Egale oder nur Seltsame (Fatih Akin lässt Murat Kurnaz noch einmal sprechen; Hans Steinbichler lässt Josef Bierbichler die FAZ verbrennen und die Redaktion erschießen, weil sie die Fraktur abgeschafft hat (sic!); Hans Weingartner re-inszeniert mit der üblichen Aufdringlichkeit den Fall des fälschlich des Terrorismus verdächtigten Gentrifizierungstheoretikers Andrej Holm; Isabelle Stever führt Streitschlichtung im Kindergarten vor und in Tom Tykwers virtuosem, aber eher hohlem Beitrag reist Benno Fürman als Geschäftsmann durch die Welt).



Der Rest darf raus aus der Klammer, weil er Interessantes versucht und weil es mehr oder minder auch gelingt. Mit Angela Schanelecs "Erster Tag" eröffnet der Film. Ein Gedicht in ruhigen Bildern, statischen Einstellungen, Berlin am Morgen, Menschen, die früh auf sind und dann, kurz sind fast aggressive Streicher zu hören, dann schweigen sie wieder, man hört Tier-Gekrächze, Natur ohne Menschen und am Ende als Schriftbild ein Text von Rolf Dieter Brinkmann übers Weitergehen der Dinge. Ein Auftakt wie ein langsames Einatmen: das ist sehr schön. Am Ende "Seance" von Christoph Hochhäusler, der sich auf die Spuren Chris Markers begibt mit einem in Bildern von Fotos und einzelnen Dingen erzählten Gedankenspiel vom Blick der Menschen zurück auf die Erde vom Mond. Hoch-modern in Musik, Ton und Herangehen, für mich allerdings trägt der Text diesen Ernst nicht so ganz. Völlig anders und als auf beknackte Weise in der Tat komischer Kontrapunkt an zweiter Stelle Dani Levy, dessen surreale Komödie sich manches von Woody Allens Kurzfilm "Oedipus Wrecks" abgeguckt hat und alles an antisemitischen und anderen deutschen Traumata so sehr auf die Spitze treibt, dass sein Sohn Joshua nicht nur wie Ozons Ricky durch die Gegend fliegt, sondern dann unter Nazis im Osten auch noch den Arm zum Hitlergruß hebt.



Bleibt Dominik Graf, der gemeinsam mit Matthias Gressmann einen klugen und sich immer stärker verdichtenden Essayfilm gegen den Versuch gedreht hat, Vergangenheit architektonisch vergessen zu machen. Eine Polemik gegen Fassadenarchitektur, die kaum nostalgisch gemeint ist, sondern nur gegen die Lüge ist, die in Stahl und Glas von Bauten nicht zuletzt am Potsdamer Platz steckt; gegen das Aus-dem-Blick-Drängen des Gewöhnlichen und des Schmutzigen. Dagegen stellt er in dokumentarischen Bildern ganz gewöhnliche Wohnhäuser, stellt er Brachen und Stadtlandschaften im Abseits, spürt er die politische Absicht, die hinter all dem steckt, ganz präzis auf. Den Text seines Essays, der gar nichts verrätselt, spricht er selbst. Sein Film endet mit einer Feier des Moments, den nur die Kamera und der Film festhält. Inhalt und Form finden bei Graf zu einem menschenfreundlichen Pathos, das so nur er kann - und an dem nicht das kleinste bisschen Behauptung ungedeckt bleibt.



Der Höhepunkt der unebenen Deutschland-Rolle ist Romuald Karmakars Film, der schlicht und ergreifend das beste ist, was im ganzen Wettbewerb überhaupt zu sehen war. Die Kamera gleitet ohne Drumrum durch Räume, die sofort als die eines Bordells zu erkennen sind. Aus dem Off eine Stimme, sie spricht Deutsch mit starkem Akzent und wohin das alles so will, erschließt sich erst nach und nach. Der Mann, den wir hören, erzählt aus seinem Leben, und zwar als Betreiber des Bordells, in dem wir und die Kamera bis fast ganz zuletzt auch verbleiben. Und, oh boy, hat er was erlebt. Er erinnert sich an ehemalige Mitarbeiterinnen und beklagt den Niedergang der Arbeitsmoral deutscher Prostituierter in den letzten Jahrzehnten.



Er schildert, wie geblasen, gefickt und gevögelt wurde auf jede erdenkliche Art und auch auf dem Sofa, auf dem er nun so unschuldig sitzt. Und wie er selber immer gern mitgevögelt hat hunderte Mal. Karmakar fragt immer weiter, aus dem Off, und bekommt die an diesem Ort alltäglichen Dinge zu hören, Dinge, die das sind, was die Nachtseite deutschen Alltags zu nennen absurd wäre. Unfassbar komisch ist das in der Mischung aus Nüchternheit der Schilderung und dem Grotesken der beschriebenen Vorgänge. Hinaus läuft es auf eine Hymne des Mannes, der - wie wir nun erfahren - aus dem Iran stammt und dort auch beerdigt sein möchte, auf Deutschland. Danke, Deutschland, sagt er und in dieser Affirmation eines fremden Heimatlands aus dem Mund ausgerechnet dieses Mannes liegt, steckt dann tatsächlich in nuce die ganze Wahrheit über das Land, in dem wir leben.



Ekkehard Knörer
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gruenrowski



Anmeldungsdatum: 11.12.2010
Beiträge: 133

BeitragVerfasst am: 15 Sep 2011 15:27    Titel: Antworten mit Zitat

Hab den Film auch gestern zum ersten Mal gesehen, weil ich neugierig auf den Graf-Beitrag war (den ich sogar mochte), aber das ist wirklich ein ziemlich schlimmer Quatsch. Auf der Habenseite eigentlich nur Karmakar, Graf und Schanelec, den Rest auf der Planke, abwärts!
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4LOM
Administrator


Anmeldungsdatum: 28.02.2005
Beiträge: 3350
Wohnort: North by Northwest

BeitragVerfasst am: 16 Sep 2011 23:33    Titel: Antworten mit Zitat

gruenrowski hat folgendes geschrieben:
Auf der Habenseite eigentlich nur Karmakar, Graf und Schanelec, den Rest auf der Planke, abwärts!

An den Beitrag von Schanelec kann ich mich gar nicht mehr erinnern, aber die Beiträge von Karmakar und Graf haben mir auch am besten gefallen. Ich weiß noch, dass mir heiß und kalt wurde im Friedrichstadtpalast, weil sich das Publikum der Berlinale vor allem bei dem schrecklichen Film von Wolfgang Becker vor Lachen fast weggeschmissen hat.
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Race hate isn't human nature; race hate is the abandonment of human nature.
--- Orson Welles
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