DVDuell.de Forum Foren-Übersicht DVDuell.de Forum
..::: Blu-ray | DVD | Film | Kino :::..
 
 FAQFAQ   SuchenSuchen   MitgliederlisteMitgliederliste   BenutzergruppenBenutzergruppen   RegistrierenRegistrieren 
 ProfilProfil   Einloggen, um private Nachrichten zu lesenEinloggen, um private Nachrichten zu lesen   LoginLogin 

60 Jahre FSK: ein Gespräch mit Christiane von Wahlert

 
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen    DVDuell.de Forum Foren-Übersicht -> Offtopic :::..
Vorheriges Thema anzeigen :: Nächstes Thema anzeigen  
Autor Nachricht
helmi



Anmeldungsdatum: 10.03.2005
Beiträge: 2820
Wohnort: Hall of the incredible macro Knight

BeitragVerfasst am: 29 Jun 2009 12:34    Titel: 60 Jahre FSK: ein Gespräch mit Christiane von Wahlert Antworten mit Zitat

„Die Dimensionen der Freiheit wachsen“ artikel / interview

60 Jahre FSK: ein Gespräch mit Christiane von Wahlert


Kein Geringerer als Erich Pommer steckte dahinter: Einst der bekannteste Produzent der UFA, musste Pommer 1933 ins Exil und emigrierte über Frankreich in die USA; 1946 kehrte er als oberster Film-Offizier der amerikanischen Militärregierung nach Deutschland zurück und war mit der Neuordnung und dem Wiederaufbau der deutschen Filmwirtschaft betraut. Zusammen mit der Regisseur Curt Oertel und dem Geschäftsführer des neuen Verbands der Filmverleiher Horst von Hartlieb entwickelte Pommer die Idee einer Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), die am 18. Juli 1949 in Wiesbaden gegründet wurde und wenig später die alliierte Militärzensur ablöste. Oft umstritten und angefeindet als verkappte Zensurbehörde, insbesondere in den frühen Jahren, hat sich die FSK mit bis 120.000 Prüfverfahren als „alternativloses“ (Ulrich Gregor) Instrument des Jugendschutzes durchgesetzt. Im 60. Jahr ihres Bestehens steht die Institution vor neuen Herausforderungen. Josef Schnelle sprach mit Christiane von Wahlert, sowohl Geschäftsführerin der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) als auch der FSK.


Frau von Wahlert, Sie sind Geschäftsführerin der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) und der SPIO, der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft. Was haben die beiden Organisationen miteinander zu tun?

von Wahlert: Die Spitzenorganisation ist ein Wirtschaftsverband, der Dachverband der deutschen Filmindustrie, und die SPIO, so die Abkürzung, ist die Trägerin der FSK. Die FSK ist aber eine selbstständige GmbH. Es gibt also eine inhaltliche Unabhängigkeit der FSK von der SPIO, aber gleichzeitig eine gesellschaftsrechtliche Tochterschaft.


Freiwillige Selbstkontrolle: Ist das nicht nur eine freundliche Umschreibung von Zensur?

von Wahlert: Das ist eine Frage, die die Geschichte der FSK begleitet. Von 1933 bis 1945 gab es eine starke nationalsozialistische staatliche Zensur. Nach dem Krieg war es dann klar, dass mit dem Film in Deutschland etwas passieren würde. Und da die politischen Kräfte, die sich gerade aufstellten, Angst hatten, dass es zu einer staatlichen Zensur kommen könnte in dem Staat, der sich herausbildete, wurde die Filmwirtschaft sehr früh aktiv und hat sich, nach Amerika blickend und den dortigen „Production Code“ anschauend, gesagt: wir machen selbst etwas. Wir machen eine freiwillige Selbstkontrolle. Die Verleiher legen Produkte vor. Sie sind nicht gezwungen, diese Produkte vorzulegen. Das hat aber bestimmte Rechtsfolgen. Wenn man einen Film nicht vorlegt, kann er nur von Erwachsenen gesehen werden.


Wer genau prüft denn die Filme?

von Wahlert: Es gibt unabhängige Prüfer. Die FSK hat heute einen Pool von 250 Prüferinnen und Prüfern. Die werden von verschiedenen Stellen benannt. Zum Beispiel dürfen die Jugendministerien der Länder Prüfer benennen. Das Familienministerium in Berlin. Die Kultusministerkonferenz, die evangelische und die katholische Kirche, der Zentralrat der Juden und der Bundesjugendring. Ebenso darf die Filmwirtschaft Prüfer benennen. Aus diesem Pool werden dann die Ausschüsse von drei bis sieben Personen zusammengestellt. Das ist ein bisschen vergleichbar mit einer Schöffentätigkeit. Dazu ist man allerdings verpflichtet. Eine solche Verpflichtung gibt es bei der FSK natürlich nicht.


Um es noch einmal klarzustellen: Die FSK kann keinen Film ganz zurückweisen. Es geht also lediglich um Altersfreigaben?

von Wahlert: Ja und Nein. Da sind wir jetzt schon in der gesetzlichen Problematik. Die FSK handelt ja nicht im luftleeren Raum, sondern muss sich nach dem jeweils gültigen Jugendschutzgesetz richten. Darin gibt es – wir als Filmwirtschaft sagen „leider“ – das Verbot, Filme zu kennzeichnen, wenn sie offensichtlich schwer jugendgefährdend sind. Da grenzt die gesetzliche Regelung an eine zensurähnliche Tatsache. Das trifft aber nur für einen ganz minimalen Teil der Filme zu. Bei der großen Menge, bei 99,5 Prozent der Filme, geht es nur darum, eine Alterskennzeichnung auszusprechen.


Kritiker haben der FSK vorgeworfen, sie sei die größte Änderungsschneiderei, die man sich vorstellen kann.

von Wahlert: Weil immer was weg geschnitten wird. Das ist ein Image, das der FSK anhaftet, was historisch durchaus begründet ist, aber heute nicht mehr zutrifft. Früher war es in der Tat so, dass es Freigaben gab, die mit einer Auflage versehen wurden. Dann hat der Ausschuss gesagt: Dieser Film kann ab 12 oder 16 Jahren freigegeben werden, wenn diese oder jene Szene verschwindet. Diese Praxis gibt es seit etwa 20 Jahren zum Glück nicht mehr. Jetzt kann es aber sein, dass der Verleiher, der den Antrag bei der FSK stellt, mit dem Ergebnis nicht zufrieden ist, weil er sagt, meine Zielgruppe sehe ich eigentlich ganz woanders. Dann fragt er nach: Könnte es sein, dass ich, wenn ich ein oder zwei Szenen herausnehme, eine niedrigere Alterseinstufung bekommen könnte? Dann kann er den Film erneut vorlegen, und dann gibt es durchaus Situationen, in denen dann ein anderer Ausschuss den etwas geänderten Film anschaut und sagt: So wie er jetzt ist, können wir den Film beispielsweise ab 12 Jahren freigeben. Auf diese Weise gibt es dann doch Schnitte. Es gibt aber keine Schnittauflagen der FSK mehr, und es wird auch nicht durch die FSK geschnitten.


In der Geschichte der FSK gab es immer wieder eklatante Fehlurteile. Das berühmteste ist der Fall von Rossellinis „Rom: offene Stadt“ im Jahr 1950, also ganz zu Beginn der FSK-Geschichte.

von Wahlert: Das ist in der Tat ein außerordentlich interessanter Fall, weil damals die FSK die Freigabe dieses Meisterwerks verweigert hat mit der Begründung, dieser Film würde die positiven deutsch-italienischen Beziehungen stören – eindeutig eine politische Argumentation. Wenn man jetzt aber genauer hinschaut, wovon der Film handelt, nämlich von der unglaublichen Brutalität, mit der die deutsche Besatzungsmacht in Rom während des Krieges vorgegangen ist, dann kann man die Begründung aus heutiger Sicht überhaupt nicht anders sehen als eine Form von historischer Verdrängung. Wenn wir also in die Akten der FSK steigen, dann haben wir vor uns so etwas wie eine Kultur- und Sittengeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Wir sehen, dass auch die Entscheidungen der FSK oft vom Zeitgeist geprägt gewesen sind und dass immer mal wieder ideologische Scheuklappen zur Wirkung kamen.


Es gibt eine Sternstunde der FSK. Die betrifft den Ingmar-Bergman-Film „Das Schweigen“. Die Politiker schäumten. Es gab sogar eine Bundestagsdebatte. Innenminister Hermann Höcherl versuchte sich als Filmkritiker. Die FSK hingegen behielt eine ruhige Hand und gab den Film frei.

von Wahlert: Die FSK hat immer zwei Tendenzen in sich gehabt. Eine Tendenz, die die Freiheit der Kunst befördert hat, und eine, die die Enge und die Angst der Sichtweisen ausgedrückt hat. Das prägt ja unsere Gesellschaft insgesamt, und wenn man ein fortschrittsgläubiger Mensch ist, dann ist es schön zu sehen, dass die Dimensionen der Freiheit wachsen. Aber Freiheit muss immer gegen Beschränkungen ankämpfen. Insgesamt kann man sagen, dass der Jugendschutz sich in einem verfassungsrechtlichen Spannungsfeld befindet zwischen der Freiheit der Kunst und dem Jugendschutz, der ebenfalls Verfassungsrang genießt. Hier muss immer gründlich abgewogen werden, weil die Freiheit der Kunst doch ein sehr hohes Rechtsgut ist.


Näher zur Gegenwart, kommen wir zu Til Schweiger und seinem Film „Keinohrhasen“. Was war denn da los?

von Wahlert: Der Film wurde der FSK vorgelegt und ab 6 Jahren freigegeben. Es hatte eine lange interne Diskussion über diese Freigabe gegeben, und der Ausschuss von sieben Personen hat sich mehrheitlich für „FSK 6“ entschieden. Die Begründung seinerzeit war, dass in dem Film zwar sexuelle Spitzen vorkommen, dass aber der Gesamteindruck heiter und positiv sei – das Kindergartenmilieu und die Zeichnung der Kinder, das Verhältnis der Kindergärtnerin zu den Kindern, das Verhältnis von Til Schweiger zu den Kindern ist so wunderbar gezeichnet, dass das für Kinder einfach so etwas wie ein kleines Paradies darstellt. Dann kam der Film in die Kinos und hat ein gesellschaftliches Echo hervorgerufen, was uns alle erstaunt hat. Für „Keinohrhasen“ haben wir an die 300 empörte Zuschriften bekommen. Dann ist der Film noch einmal geprüft worden. Das ist ein ganz reguläres Verfahren. Das heißt bei uns Appellation. Das ist die dritte Instanz. Die ist abschließend und kann beispielsweise von den Ländern angerufen werden. Das war in diesem Fall auch so. Dieser Ausschuss hat dann den Film auf „ab 12“ erhöht. Das Witzige ist, dass er dann der erfolgreichste deutsche Film des Jahres mit über sechs Mio. Besuchern wurde. Die Auseinandersetzung über den richtigen Jugendschutz hat dem Film also nicht geschadet.


Es gibt jetzt viele Wege, einen Film zu verbreiten: nicht nur über das Kino, sondern auch über DVD, herunterladbare Dateien im Internet, Austauschbörsen und mehr. Verändert das nicht die Funktion der FSK?

von Wahlert: Die Idee, auf der die FSK beruht, ist, dass alle Filme, die veröffentlicht werden, sei es im Kino und dann ab Mitte der 1980er-Jahre auf DVD, vor ihrer Veröffentlichung vorgelegt werden können. Man ging davon aus, dass es eine überschaubare Zahl von Titeln gibt, im Jahr etwa 400 oder 500 Kinofilme und 1000 Filme auf Video. Das ist das Volumen, das die FSK jedes Jahr bewältigt. Die Vertriebswege waren also relativ überschaubar. Mit dem Internet ist jetzt ein Vertriebsweg gigantischen und internationalen Ausmaßes hinzugekommen. Der Jugendschutz im Offline-Bereich hat ein weit überschaubareres Tätigkeitsgebiet als der Jugendschutz im Online-Bereich. Wir verfolgen alle die aktuelle Diskussion um die Sperrungsproblematik bei Kinderpornografie-Seiten. Das ist nun gar kein Thema des Jugendschutzes, sondern eindeutig des Strafrechts. Aber wir sehen auch, dass die Frage, wie denn das Internet künftig aussehen soll, welche Regulierungsmöglichkeiten es denn im Internet gibt, die Gemüter enorm bewegt. Da ist die Internet-Community, die überhaupt nicht gegängelt werden möchte. Der Jugendschutz sagt, wenn im Internet alles frei zugänglich ist, dann sind die mühevollen Anstrengungen im Offline-Bereich gewissermaßen für die Katz. Das ist allerdings eine große gesellschaftliche Diskussion: Wie kann man aber Filterprogrammen oder sonstigen Maßnahmen, dem Jugendschutz im Netz, Geltung verschaffen? Ich glaube aber, dass die Idee, dass wir – ich meine jetzt die Erwachsenenwelt – alles, was für Kinder medial zugänglich ist, in irgendeiner Weise gesichtet haben können und für gut oder schlecht, für zugänglich oder nicht zugänglich befunden haben können, vielleicht nicht mehr stimmt. Im Grunde ist diese Zeit schon mit dem Fernsehen vorbei gewesen. Der Jugendschutz im Fernsehen beschäftigt sich mit Programmierungsschienen. Das ist ein Regulierungsmodell, das mit einem zeitsouveränen Fernsehkonsum, eigentlich mit dem Videorecorder, schon ein bisschen absurd geworden ist. Die Frage, wie kann man das mit dem Jugendschutz im Internet machen, ist also unbeantwortet. Denn auf den Jugendschutz ganz zu verzichten, ist sicher auch nicht die Lösung.

gruss

helmut
_________________
Der Mensch lässt sich grob in zwei Gruppen einteilen: in Katzenliebhaber und in vom Leben benachteiligte.

Francesco Terarca
Nach oben
Benutzer-Profile anzeigen Private Nachricht senden Website dieses Benutzers besuchen
cinéphile
Gast





BeitragVerfasst am: 29 Jun 2009 18:54    Titel: Antworten mit Zitat

edit
Nach oben
Beiträge der letzten Zeit anzeigen:   
Neues Thema eröffnen   Neue Antwort erstellen    DVDuell.de Forum Foren-Übersicht -> Offtopic :::.. Alle Zeiten sind GMT + 1 Stunde
Seite 1 von 1

 
Gehe zu:  
Du kannst keine Beiträge in dieses Forum schreiben.
Du kannst auf Beiträge in diesem Forum nicht antworten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht bearbeiten.
Du kannst deine Beiträge in diesem Forum nicht löschen.
Du kannst an Umfragen in diesem Forum nicht mitmachen.


Powered by phpBB © 2001, 2005 phpBB Group